Er spricht ganz sanft, seine Botschaft aber ist knallhart. «Ich bin nur gekommen, um über Ihren Rücktritt zu verhandeln». Es ist eine Szene, die typisch ist für die gewaltlose Revolution in Armenien – und typisch für Nikol Paschinjan.
Der 42-Jährige traf sich mitten in den Volksprotesten mit dem damaligen Premierminister Sersch Sargsjan. Im Ton freundlich, ja fast entspannt, in der Sache aber kompromisslos. Paschinjan setzte alles auf eine Karte – und er hatte Erfolg. Heute wurde der ehemalige Journalist zum Nachfolger von Sargsjan gewählt.
Es ist eine sehr steile Karriere. Noch vor wenigen Wochen war Paschinjan ein relativ unbedeutender Oppositionspolitiker. Armenien lag fest in der Hand von Sersch Sargsjan und seiner Republikanischen Partei.
Das Gesicht des Wandels
Doch die Armenierinnen und Armenier hatten genug. Genug von der Korruption im Land, von der Selbstherrlichkeit der Mächtigen und auch genug von der Perspektivlosigkeit. Fast 20 Prozent der Menschen haben keine Arbeit. Hunderttausende müssen im Ausland ihr Geld verdienen, vor allem in Russland.
Paschinjan will das ändern. Und er stellte sich an die Spitze einer Protestbewegung. Mit seinem Bart und seinem T-Shirt in Tarnfarben wirkte er schon äusserlich wie ein Revolutionär. Den «Che Guevara» Armeniens nennen sie ihn auch.
Paschinjan bestand jedoch stets auf Gewaltfreiheit. Seine Anhänger blockierten Strassen und Regierungsgebäude. Sie versammelten sich zu Zehntausenden. Aber sie blieben stets friedlich.
Das Volk hat gewonnen und niemand kann ihm diesen Sieg wieder wegnehmen.
Die Staatsmacht kapitulierte schnell, auch weil sie sich scheute, die Sicherheitskräfte auf das eigene Volk loszulassen. Bloss eine Woche nach Beginn der Proteste trat Premier Sersch Sargsjan zurück. Und die Republikanische Partei erklärte bald, ihre Parlamentarier würden Oppositionsführer Paschinjan zum Premierminister wählen – was heute geschehen ist.
Er selber sieht sich als Teil des Volkes, wie er vor internationalen Medien erklärte: «Wir müssen die politische Situation in Armenien verstehen. Unsere Bewegung hat die Unterstützung von 90 Prozent der Bevölkerung. Das Volk hat gewonnen und niemand kann ihm diesen Sieg wieder wegnehmen.»
Aussenpolitische Gratwanderung
Doch der Triumph ist nur ein Anfang. Paschinjan steht jetzt vor der wohl härtesten Aufgabe seiner bisherigen politischen Karriere: Es muss regieren. Armenien ist in einer schwierigen Lage: Das Land hat einen ungelösten Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan um das Gebiet Berg-Karabach.
Auch mit der Türkei sind die Beziehungen angespannt. Eingeklemmt zwischen Feinden ist das kleine Land abhängig von Russland: Moskau garantiert für die Sicherheit der ehemaligen Kolonie; es kontrolliert aber auch beträchtliche Teile der armenischen Wirtschaft.
Partnerschaft mit Russland
Der neue Premier Paschinjan hat noch kein detailliertes Programm vorgelegt, wie er all diese Probleme lösen will. In der Aussenpolitik möchte er an der engen Partnerschaft mit Russland festhalten. Das ist pragmatisch: Armenien hat auch gar keine Alternative.
Innenpolitisch verspricht er mehr Demokratie – und eine Öffnung der Wirtschaft. Die korrupten Seilschaften der ehemaligen Machthaber sollen gesprengt, der Wohlstand gerechter verteilt werden. Ob das gelingt, ist ungewiss. Die Erwartungen der Menschen an Paschinjan sind riesig.