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Armut in Frankreich Lebensmittel für Bedürftige: Bald reicht das Geld nicht mehr

Die Hilfsorganisation verteilt in Frankreich seit 40 Jahren Lebensmittel an Bedürftige.

Das Quartier Bonneville liegt auf einem Hochplateau über Nancy und prägt die Skyline der Stadt schon von Weitem: zwei gigantische Sozialbauten von 300 und 400 Metern Länge, bis zu 17 Stockwerke hoch. Sie gelten mit über anderthalbtausend Wohnungen als die grössten Häuserblocks Europas. Im Parterre, an der Ecke eines dieser Häuser, stehen einige Frauen und Männern und warten auf Einlass ins «Resto du Coeur».

Marylise steht am Eingang. Sie lässt einige Leute hinein, begrüsst sie und gibt allen eine Registerkarte mit ihrem Namen ab. Alle hätten einen festen Termin, um einmal wöchentlich Lebensmittel abzuholen, sagt sie. Für das Resto sei dies eine doppelte Kontrolle; sie wüssten so, wer seine Ration abgeholt habe und könnten abschätzen, wie hoch der Bedarf für die kommende Woche sei.

Wer von «Restos du Coeur» Lebensmittel beziehen will, muss sich Anfang Saison einschreiben und muss belegen, dass vom Einkommen nach Abzug von Miete und Lebenshaltungskosten nicht mehr genügend Geld für Lebensmittel bleibt.

Zweieinhalb Millionen Mahlzeiten verteilt

Das «Resto du Coeur» gleicht einem Laden mit Grundangebot. Die Kundinnen und Kunden werden beim Einkauf begleitet. Eine ältere Frau im grauen Wollmantel und einer weissen Mütze ist dran. Die Helferin Laurence nimmt ihre Registrierkarte und fragt: «Milch, Öl, Zucker?» Doch auch das Übersetzungsprogramm auf dem Handy versteht die Frage nicht.

Laurence tippt darum auf eine Flasche Öl. Die Frau nickt, und packt die Flasche ein. Nun führt Laurence die Einkaufstour per Zeichensprache fort. Die Frau schüttelt entweder den Kopf oder greift zu. Es sind Grundnahrungsmittel, etwas Fisch oder Fleisch, Obst und Gemüse.

Eine Frau bei der Lebensmittelausgabe
Legende: In den «Restos du Coeur» erhalten die Menschen Grundnahrungsmittel. SRF/Daniel Voll

Das «Resto du Coeur» im Aussenquartier von Nancy ist eines von 36 Lokalen, das die Organisation im Departement Meurthe-et-Moselle führt. Zusammen haben diese im vergangenen Jahr zweieinhalb Millionen Mahlzeiten verteilt, sagt Robert Larose, der die Organisation im Departement leitet.

Der Bedarf nach Lebensmittelhilfe sei im vergangenen Jahr um rund 30 Prozent gewachsen. Die Teuerung werde die Nachfrage weiter in die Höhe treiben, sagt er: «Wenn die Familie vom Einkommen die Miete und die Kosten für Heizung und Strom – die beide massiv gestiegen sind – abzieht, dann bleibt weniger Geld für Lebensmittel. Und weil die Lebensmittel ebenfalls teurer werden, können sie noch weniger kaufen.»

Ein Helfer stellt Lebensmittel auf einen Tisch
Legende: Die Hilfsorganisation wurde vor 40 Jahren vom Komiker Coluche gegründet. Keystone/EPA/TERESA SUAREZ

«Restos du Coeur» hat in ganz Frankreich mehr Zulauf. Bereits im vergangenen Jahr hat die Organisation 20 Prozent mehr Leute angenommen. Die Neuen kämen aus allen Bevölkerungsgruppen: Alte, Junge, Arbeitslose oder Beschäftigte mit Mindestlohn. Vor allem sind es aber Studierende und Alleinerziehende. Die Nachfrage dürfte weiter steigen, rechnet Larose. Dies stelle die «Restos du Coeur» vor schwierige Entscheidungen.

Rationen wurden gekürzt

Man habe etwa ähnlich viele Spenden und Mittel wie bisher. Aber weil sowohl Nachfrage wie Lebensmittelpreise anstiegen, öffne sich die Schere zwischen Ausgaben und finanziellen Mitteln immer weiter. Die Organisation habe nicht nur die Kriterien für den Lebensmittelbezug verschärft, sondern auch die Rationen um bis zu 25 Prozent gekürzt. Aber die Organisation könne kein Geld ausgeben, das sie nicht habe.

Was sonst passieren könnte, hat der Präsident der nationalen «Restos du Coeur» kürzlich erklärt: Wenn es so weiter gehe, dann wäre Frankreichs zweitgrösstes Hilfswerk in rund zwei Jahren finanziell am Ende.

Echo der Zeit, 13.02.2024; 18 Uhr;kobt

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