Zum Inhalt springen

Armut in Genf Ein Gourmetrestaurant für Bedürftige

Das «Refettorio» in Genf vereint Gastronomie mit sozialen Anliegen. Die Idee des italienischen Spitzenkochs und Gründers Walter el Nagar: Er will gegen die Isolation sozial schwacher Menschen und die Verschwendung von Lebensmitteln ankämpfen.

Ein feines Abendessen in einem Restaurant: Das liegt für Leute, die jeden Rappen umkehren müssen, kaum drin. Sie sind froh, wenn ihr Geld zum Essen reicht. In Genf gibt es nun für solche Menschen eine Chance auf ein luxuriöses Essen: in einem «Refettorio» – einem Gourmetlokal für finanziell Schwache.

Das Restaurant ist gleichzeitig auch ein Konzept, um der Verschwendung von Lebensmitteln entgegenzuwirken. Die Idee kommt ursprünglich aus Italien und ist in der Schweiz einzigartig.

Wir haben uns überlegt, wie wir den Menschen auf den Genfer Strassen helfen können.
Autor: Walter el Nagar Gründer von Refettorio

Walter el Nagar ist Gründer und Küchenchef des Gourmetrestaurants. Mit seinem Lokal, das gleichzeitig ein soziales Projekt ist, hat der italienische Koch eine klare Mission:

«Unser Ziel ist es, die Gassenküche abzuschaffen. Es gibt viele Restaurants, bei denen ausgezeichnetes Essen im Abfall landet.» Würde man diese Abfälle nutzen, könnte man die klassische Gassenküche abschaffen.

Walter El Nagar steht in der Küche und schaut in die Kamera.
Legende: Der Gründer und Küchenchef Walter el Nagar kämpft gegen Foodwaste und setzt sich für sozial schwächere Menschen ein. srf

Der Gourmetkoch unterstützt die Null-Abfall-Politik. Doch noch mehr möchte er den Bedürftigen helfen – besonders seit der Corona-Krise.«Wir haben uns überlegt, wie wir den Menschen auf den Genfer Strassen helfen können. Vor allem denen, die während der Corona-Krise für ein Kilo Reis in der Schlange stehen mussten.»

Genf kämpft schon länger gegen Armut

Box aufklappen Box zuklappen

In Genf war es während der Corona-Krise keine Seltenheit, dass Tausende von Leuten für mehrere Stunden Schlange standen, damit sie das Nötigste bekommen. Schon vor der Krise hatte Genf mit Armut zu kämpfen. In den Jahren 2016 bis 2018 lag die Armutsgefährdungsquote bei 18.5 Prozent. Die Situation ist bis heute nicht viel besser geworden.

So suchte er mit seinem Team nach einem grossen Restaurant, und fand eines, welches für 80 Personen Platz bietet. Im Februar dieses Jahres konnte er sein Gourmetlokal eröffnen. Durch den Tag stehen er und sein Team bereit für die zahlenden Gäste und am Abend für die Bedürftigen.

Eine Idee, die Anklang findet

Das Konzept ist einfach: Nebst den Spenden zahlen die Gäste, die im Lokal zu Mittag essen, gleichzeitig einer armen Person ein Essen. Die Besucher des «Refettorio Geneva» unterstützen bewusst die Idee von einem Gourmetrestaurant für Arme.

«Ich finde es ein gutes Konzept. So kann ich den Obdachlosen ermöglichen, dass sie ein Essen von hoher Qualität geniessen können. So wie das die meisten Menschen können», erzählt ein Gast. Andere haben von Leuten gehört, die dank dieses Konzepts das erste Mal in ihrem Leben ein Restaurant besuchen konnten.

Seit der Eröffnung im Februar wird durchschnittlich für 40 Bedürftige am Tag gekocht. Diese bekommen gratis ein Abendessen und müssen sich im Voraus anmelden. Soziale Vereine entscheiden im Vorfeld, wer jeweils das Gourmetlokal besuchen kann. So wird verhindert, dass sich vor dem Restaurant lange Schlangen bilden.

Es geht nicht nur um eine warme Mahlzeit

Für die Gäste, die hier einkehren, geht es nicht nur um eine warme Mahlzeit: «Ich komme hierher, um weniger einsam zu sein und für ein bisschen Geselligkeit während des Essens», sagt ein Gast. Anderen ermöglicht das Gourmetlokal, einmal aus dem Haus zu kommen und einen Abend unter Menschen zu verbringen.

Was die Leute hier wirklich brauchen, ist, dass man sie wie normale Gäste behandelt.
Autor: Charlotte Hennessy Serviceleiterin von Refettorio

Wiederum andere kommen wegen des feinen Essens, welches bei ihnen selten auf den Tisch kommt. «Es ist eine schöne Erfahrung, ein Gastro-Menu zu essen. Es tut gut, fein essen zu können», berichtet ein weiterer Gast.

Im Lokal von Walter el Nagar werden die Bedürftigen wie normale Kunden behandelt. Das sei auch wichtig, sagt Serviceleiterin Charlotte Hennessy. «Was die Leute hier wirklich brauchen, ist, dass man sie wie normale Gäste behandelt. Es macht uns glücklich, dass wir ihnen ein Restauranterlebnis bieten können, das sie bei einer normalen Gassenküche nicht haben.»

Schweiz Aktuell, 22.11.2022, 19:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel