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Asyl-Showdown im Nationalrat So zieht Europa die Asylschraube an

Bei der Asylpolitik ist Feuer im Dach – und das auf dem ganzen Kontinent. Unsere Korrespondenten berichten.

Über dem Bundeshaus geht heute ein Donnerwetter nieder: Wieder einmal «lädt» die SVP zu einer ausserordentlichen Session zur Asylpolitik. Bei einer «Chropfleerete» wird es an der Sonderdebatte im Nationalrat aber nicht bleiben.

Beat Jans im Nationalrat während der Herbstsession
Legende: Migrationsminister Beat Jans weht ein steifer Wind entgegen: Unter dem Eindruck der hohen Asylzahlen könnten Forderungen der SVP mehrheitsfähig werden, die den anderen Parteien bisher zu radikal waren. Keystone/Peter Schneider

Damit reiht sich die Schweiz ein in eine gesamteuropäische Entwicklung: Von London über Berlin bis nach Rom rumort es, viele Regierungen verschärfen ihren Kurs. Unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten über die Zeitenwende in der europäischen Asylpolitik.

Grossbritannien: «Take back control» endet im Kontrollverlust

Patrik Wülser: Nach Afrika ausschaffen. Auf alte Ölplattformen abschieben. An abschreckenden Ideen hat es der britischen Regierung in der Migrationspolitik in den vergangenen Jahren nicht gefehlt. Gescheitert sind sie alle. Als eine der ersten Amtshandlungen hat der neue Premierminister Keir Starmer das Ruanda-Projekt seines Vorgängers gekippt.

In enger Zusammenarbeit mit den Nachbarn auf dem europäischen Festland sollen die Menschenschmuggler-Banden zerschlagen werden. Viel Zeit bleibt Starmer nicht. «Take back control» lautete der Slogan, mit dem die Tories den Britinnen und Briten vor einigen Jahren den Brexit schmackhaft machten. Was folgte, war eher ein Kontrollverlust. Die Einwanderung nahm nicht ab, sondern stieg weiter an. Genauso wie der Unmut in der Bevölkerung.

Dänemark: Harte Gangart als Modell für Europa

Karina Rierola: Dänemark fährt einen strikten Kurs in der Asylpolitik – der über fast alle Parteigrenzen hinweg und von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung getragen wird. Das nordische Land ist vergleichsweise restriktiv beim Familiennachzug, unterhält vielkritisierte Rückführungszentren und pocht auf Rückführungen im Dublin-System. Dänemark verfolgte lange auch das Projekt von Asylzentren in Ruanda – erfolglos. Es ist seit 2022 auf Eis gelegt.

Dänemark sah seinen grosszügigen Wohlfahrtsstaat bedroht, die Rechtspopulisten griffen die Ängste auf, hatten damit lange Erfolg. Bis auch die Sozialdemokratie zum Schluss kam, dass Integration nur bei geringerer Einwanderung gelinge, sonst drohe Segregation. Das, so die Argumentation, gelte es ebenso zu verhindern wie Tote im Mittelmeer und Schlepperbanden. Lange Jahre kritisiert, ist Dänemarks harte Gangart inzwischen zum Modell für andere europäische Länder geworden.

Deutschland: Überbietungswettbewerb getrieben von rechts

Simone Fatzer: Grenzkontrollen zu allen Nachbarstaaten und Abschiebeflug nach Afghanistan: Die SPD-geführte Regierung setzt um, was sich dieselben Leute vor Jahren kaum hätten vorstellen können. Bezahlkarten für Asylsuchende und beschleunigte Ausschaffungen wurden eingeführt, Asylverfahren in Drittstaaten werden geprüft.

Die Migration verschärft die durch die Versäumnisse der Politik verursachten Mängel: Von Wohnungen bis Lehrerinnen. Die Schlüsse, die man daraus zieht: Abschottung. Selten ist die Rede von Investitionen in Bildung, Integration oder Prävention vor Radikalisierung im Netz. Die schrillen Forderungen der AfD setzen den Ton. Sie prägt die Asylpolitik auch ohne Regierungsbeteiligung.

Spanien: Der andere Weg

Beat Vogt: In Sachen Migrationspolitik tanzt Spanien aus der Reihe. Die Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez setzt nicht in erster Linie auf stärkere Abschottung und vermehrte Sicherung der Grenzen. Und dies, obwohl die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die illegal nach Spanien einreisen, dieses Jahr stark gestiegen ist.

Als bestes Mittel gegen die illegale Migration sieht Sánchez die legale Migration. Die spanische Wirtschaft sei auf ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter angewiesen, sagte er Ende August in einer vielbeachteten Rede in Mauretanien: «Migration bedeutet für Spanien Reichtum, Entwicklung und Wohlstand.»

Aber auch Sánchez will nicht einfach die Grenzen öffnen. Die Abkommen, die er mit den westafrikanischen Staaten abschloss, beinhalten auch Massnahmen für den Kampf gegen Schlepperbanden. Zudem will auch der spanische Ministerpräsident illegal Eingereiste in ihre Herkunftsländer rückführen lassen.

EU: Zeichen stehen auf Verschärfung  

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Rettung von Bootsmigranten vor der Küste Libyens (2017).
Legende: Rettung von Bootsmigranten vor der Küste Libyens (2017). Keystone/AP/Santi Palacios

Andreas Reich: Wie in vielen einzelnen europäischen Staaten stehen die Zeichen in der Asyl- und Migrationspolitik auch auf EU-Ebene auf Verschärfung. Das ist nichts als logisch, sind es doch die EU-Mitgliedstaaten, die die politische Richtung der EU im Wesentlichen vorgeben. Seit Frühjahr ist die Reform der Asyl- und Migrationspolitik der EU nach jahrelangen Diskussionen beschlossene Sache.

Das Ziel: Die Asylverfahren sollen beschleunigt und an die Aussengrenzen der EU verlagert werden. Wer aus einem Land mit geringen Chancen auf Asyl kommt, muss in einem Asylzentrum an der Grenze auf den Bescheid warten. Die EU will damit erklärtermassen erreichen, dass weniger Migrantinnen und Migranten nach Europa kommen.

Noch ist es aber zu früh, um die Wirkung des neuen Asyl- und Migrationspakts zu beurteilen. Angewendet wird er erst am Juni 2026. Was der Pakt nicht regelt, ist die Rückführung von Personen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Dafür müssen die EU oder die einzelnen EU-Staaten separate Rückführungsabkommen mit den Herkunfts- oder Transitstaaten der abgelehnten Asylsuchenden abschliessen.

Italien: Weniger Migranten dank Tunesien

Franco Battel: Italien hat es innert Jahresfrist geschafft, die Zahl ankommender Migranten oder Flüchtlinge um mehr als die Hälfte zu reduzieren. Dies liegt vor allem an Tunesien. Von dort kamen seit Anfang Jahr deutlich weniger Hilfesuchende an. Grund dafür dürften die Abkommen sein, die Italien und die EU mit dem tunesischen Machthaber Kais Saied abgeschlossen haben.

Tunesien bekommt viel Geld von der EU und hält im Gegenzug Leute zurück. Offenbar funktioniert das. Allerdings weisen Menschenrechtsorganisationen darauf hin, dass Migrantinnen und Migranten in Tunesien zum Teil schwer misshandelt werden. Zudem weichen viele auf die westliche Route über Spanien aus.

Österreich: Grundsatzdebatte um Grundrechte

Peter Balzli: Die Stimmung in Österreich hat gedreht. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg gewann die rechtsnationalistische FPÖ im Juni eine Wahl. Und auch im laufenden Wahlkampf liegt die FPÖ in allen Umfragen in Führung. Sie fordert einen totalen Asylstopp.

Aufgeheizte Stimmung in Österreich

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Rose in Einschussloch nach dem Terror von Wien (November 2020).
Legende: Rose in Einschussloch nach dem Terror von Wien (November 2020). Keystone/EPA/Christian Bruna

Ursachen für den Stimmungsumschwung in unserem Nachbarland gibt es viele: Etwa die grausame Vergewaltigung und Ermordung der 13-jährigen Leonie in Wien durch drei Afghanen. Oder der Terroranschlag in Wien im November 2020, bei dem ein islamistischer Terrorist vier Personen tötete und 23 verletzte. In den letzten Monaten heizten blutige Bandenkriege in Wien zwischen Tschetschenen, Syrern und Afghanen die Stimmung weiter an.

Die Folge: Was einst nur die FPÖ forderte, will jetzt auch die Volkspartei von Kanzler Karl Nehammer – nämlich eine Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Genfer Flüchtlingskonvention.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) präzisiert: Die Grundrechte angreifen wolle in ihrer Partei niemand. Das Ziel sei vielmehr eine «breite Debatte». Was Edtstadler hofft: Neue Rechtsprechung soll Abschiebungen in Länder erleichtern, in die momentan nicht abgeschoben wird, etwa Afghanistan.

Tagesschau, 19.09.2024, 19:30 Uhr ; 

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