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Atomstrom wieder salonfähig? Finnlands neues AKW geht endlich in Betrieb

Baukosten und -zeit wurden massiv überschritten. Doch jetzt geht das AKW ans Netz – und erntet sogar von Grünen Beifall.

Finnland schreibt in diesen Tagen Energiegeschichte: Es nimmt das erste neue Atomkraftwerk in der EU seit Jahrzehnten in Betrieb. Nach den frostigen Festtagen mit tiefen Temperaturen und rekordhohen Strompreisen können sich die gut fünf Millionen Finninnen und Finnen jetzt also auf günstigere Elektrizität freuen.

Das im Südwesten Finnlands gelegene neue AKW Olkiluoto 3 wird nun die Lücke füllen, welche sich nach dem Stopp russischer Stromlieferungen im letzten Sommer aufgetan hatte.

Grüne unterstützen Atomstrom-Produktion

Das neue AKW komme gerade zur richtigen Zeit, sagt Atte Harjanne, Fraktionschef der finnischen Grünen im nationalen Parlament. «Von einem grossen Erfolg kann im Fall von Olkiluoto 3 jedoch nicht gesprochen werden: Das Projekt war von Beginn weg zu gross», betont Harjanne.

Atte Harjanne spricht in ein SRF-Mikrofon.
Legende: Der Fraktionschef der finnischen Grünen, Atte Harjanne, steht hinter der Atomkraft. Für ihn und seine Partei trägt sie massgeblich zur Verminderung des Klimagasausstosses Finnlands bei. srf/Bruno Kaufmann

Er kritisiert die fast zwanzig Jahre dauernde Bauzeit und die enormen Kosten des AKW. Dieses hat schlussendlich umgerechnet fast zwölf Milliarden Franken gekostet.

Atomenergie bald wieder salonfähig?

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AKW Grohnde in Deutschland.
Legende: RelaxFoto.de

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar 2022 ist das Thema Atomkraft in Europa wieder in den Fokus gerückt. So entschied etwa die niederländische Regierung vor wenigen Wochen, zwei neue AKW bauen zu lassen. Auch in Schweden stehen neue AKW zur Debatte. Das Problem: «Solche Anlagen sind überaus teuer und kompliziert. Sie zu bauen, dauert mitunter Jahrzehnte», sagt SRF-Wirtschaftsredaktor Matthias Heim. Deshalb werde sich erst noch weisen müssen, ob die Projekte tatsächlich umgesetzt werden.

Zudem könnten die Nachteile der Nukleartechnologie auch künftig nicht vollständig ausgeblendet werden: Unfallrisiken sowie die ungelöste Entsorgung des jahrtausendelang strahlenden, radioaktiven Abfalls.

Eine vorübergehende Lösung sei womöglich der längere Betrieb von bereits laufenden AKWs, so Heim. «Doch die Anlagen werden immer älter und anfälliger, wie man gerade in Frankreich sieht.» Zudem müssten diese Anlagen, um die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, stetig nachgerüstet werden, was schnell mal mehrere Hundert Millionen Franken koste. Und: «Gleichzeitig werden die erneuerbaren Energiequellen wie Fotovoltaik immer günstiger», stellt Heim fest. «Da überlegen sich die Energiekonzerne sehr genau, wo sie ihr Kapital investieren wollten.»

Die Zukunft gehöre kleineren Anlagen, sagt Harjanne, der die Atomkraft vor allem aus Sicht des Klimaschutzes befürwortet: «Es gibt viele gute Gründe dafür, auf die Atomkraft auch in Zukunft nicht zu verzichten.»

Atomares Endlager und Uranabbau

Die breite Unterstützung für die Weiterentwicklung der Atomenergie von links bis rechts hat in Finnland Folgen: Als erstes Land der Welt wird in diesem Jahr ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Eurajoki unweit von Olkiluoto in Betrieb genommen.

Zudem hat die Regierung in Helsinki die Bewilligung für die Eröffnung der ersten Uranmine in der EU in Sotkamo, im Nordosten Finnlands, bewilligt. Dort sollen pro Jahr bis zu 200 Tonnen Uran abgebaut werden. Bislang war Finnland auf Importe aus Russland angewiesen.

Wir in Finnland sind pragmatisch ausgerichtet und auf Kontinuität bedacht.
Autor: Atte Harjanne Fraktionschef der finnischen Grünen

Somit wird das nordische Land bald den gesamten Atomenergiekreislauf im eigenen Land abdecken können: vom Rohstoff Uran bis zum endgelagerten hoch radioaktiven Abfall.

Verlässliche, klimaverträgliche Stromquellen

Ermöglicht hat dies eine langfristige und stabile Regierungspolitik, zu der auch Harjannes grüne Partei seit bald 30 Jahren mit wenigen Unterbrüchen beigetragen hat.

«Wir in Finnland sind pragmatisch ausgerichtet und auf Kontinuität bedacht», sagt der Grünen-Fraktionschef. Für die Energiepolitik bedeute dies in erster Linie Technikneutralität: Gefördert werden sollen verlässliche Stromquellen, die dazu beitragen, dass das nordische Land möglichst bald klimaneutral wird.

Dazu gehört aus Sicht der allermeisten Finninnen und Finnen – übrigens auch der jungen Leute – heute eben auch die Atomenergie, wie Umfragen zeigen.

Rendez-vous, 03.01.2023, 12:30 Uhr

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