Die Covid-Pandemie setzt Hunderttausenden von Seeleuten zu, die auf Containerschiffen und Frachtern auf hoher See unterwegs sind und dafür sorgen, dass genügend neue Laptops, Lebensmittel oder Autos in unsere Geschäfte kommen. Die Seeleute zahlen einen hohen Preis: Auch zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie müssen viele von ihnen viel länger an Bord bleiben als vorgesehen.
Eigentlich hätte Naresh Singh nur vier Monate an Bord des Ölfrachters bleiben sollen, auf dem er als zweiter Ingenieur angeheuert hatte. Doch als sein Vertrag zu Ende ging, sei es mit Covid gerade erst richtig losgegangen, erzählt der Inder, dessen Name auf eigenen Wunsch geändert ist. Weil die Angst vor Ansteckung allzu gross war, verboten ihm die Behörden an seinem Zielhafen in Suez die Einreise.
Überall Einreise verweigert
Naresh Singh musste an Bord bleiben und seine Reise monatelang als normaler Passagier fortsetzen. Ungefragt, zu einem Bruchteil seines normalen Lohns, weit weg von der Familie. Denn egal, ob Norwegen, China, Südafrika oder Singapur – überall, wo der Öltanker anlegte, wurde dem Ingenieur die Einreise verweigert.
Erst nach neun Monaten endete die Odyssee in Südindien. Doch obwohl niemand an Bord infiziert war, musste Singh in seinem Heimatland noch einen ganzen Monat in Quarantäne. Es sollte nicht das letzte Mal sein.
Die Seeleute sind diejenigen, die mit am meisten unter der ganzen Krise leiden.
Wie dem Inder ergeht es auch knapp zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie noch immer vielen der weltweit knapp zwei Millionen Seefahrer.
«Die Seeleute sind die, die mit am meisten unter der ganzen Krise leiden», sagt Schifffahrtsexperte Jan Hoffmann von der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad). Schon in normalen Zeiten sei es schwierig, Schiff-Teams auszuwechseln. «Da müssen die Hafenbehörden, Reedereien, Immigration, Polizei und Fluglinien alle zusammenarbeiten. Es geht ja nicht nur darum, dass wenn ein Schiff in den Hafen kommt, ein Seemann aussteigen kann und nach Hause fliegen kann. Es muss so koordiniert sein, dass gleichzeitig der Ersatzmann oder die Ersatzfrau ankommt».
Omikron-Variante könnte Situation wieder verschlimmern
Die Pandemie habe den Wechsel noch viel komplizierter gemacht. Kurz nach Ausbruch der Pandemie waren nach Industrie-Angaben bis zu 200'000 Seeleute zu einer unfreiwilligen Odyssee auf den Weltmeeren verdammt. Inzwischen sind zwar deutlich weniger betroffen, aber die neue Omikron-Variante droht alle Fortschritte wieder zunichtezumachen, erwartet nicht nur die Unctad.
«Wir befürchten, dass die Zahlen wieder ansteigen», sagt Kaspar Sögard, Chef des Global Maritime Forum, einer Interessenvertretung der Seefahrt-Industrie. Inzwischen sei die Impfquote unter Seeleuten zwar deutlich gestiegen. Aber: Viele Länder würden bestimmte Impfstoffe nicht anerkennen, sagt Sögard – selbst, wenn diese durch die Weltgesundheitsorganisation zugelassen seien.
32 Tage in Hotel-Quarantäne
Auch dem Inder Naresh Singh hat die Impfung nicht geholfen, schneller an oder von Bord zu kommen. Auch vor seiner nächsten Reise schickte ihn sein Arbeitgeber 32 Tage in Hotel-Quarantäne. Seine Vermutung: Der Schiffseigner habe kein Risiko eingehen wollen. Denn mit Covid-Fällen an Bord müsste das Schiff zwei Wochen stillgelegt werden. Was bedeutet: Zwei Wochen keine Einnahmen, nur Kosten. Die internationale Schifffahrts-Kammer wollte das Vorgehen auf Anfrage nicht kommentieren.
Trotz Quarantäne sass Naresh Singh auch bei seiner zweiten Corona-Reise doppelt so lange an Bord fest, wie geplant. Nichts habe sich verbessert seit Beginn der Pandemie. Immer wieder monatelang zu warten, nie zu wissen, wann man nach Hause könne – das alles zermürbe ihn und seine Kollegen. Viele fühlten sich vernachlässigt, wie Gefangene, wie Sklaven. Und es gebe keine Erholung. Viele Kollegen seien mental ausgebrannt.
Naresh Singh, der vor Kurzem Vater geworden ist, hat genug von der Pandemie und von der Seefahrt. Und er hat viel Zeit, über seine Zukunftspläne nachzudenken; denn schon wieder sitzt er in Hotel-Quarantäne fest. Diesmal in Singapur.