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Aufruhr im Paradies Eine kleine Insel wird zum strategischen Spielball

Die Insel Sokotra, die zu Jemen gehört, ist dünn besiedelt mit einer spektakulären Naturlandschaft. Das Unglück dieses Paradieses ist seine strategische Lage am Horn von Afrika. Ihretwegen haben es die Ölscheichs der Arabischen Emirate auf die kleine Insel abgesehen.

Lag hier das Paradies? Alte Schriften sagen es. Sokotra ist eine abgelegene Insel mit spektakulärer Naturlandschaft. Das Eiland ist ein Weltnaturerbe der Unesco – dünn besiedelt und wunderschön. Doch das Unglück der Insel ist ihre exzellente strategische Lage. Die Ölscheichs der Vereinigten Arabischen Emirate haben ein Interesse daran.

Milizen stürmten Mitte Juni den Gouverneurspalast auf Sokotra. Gemäss arabischen Informationskanälen waren es sogenannte Separatisten, die mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) verbündet sind. Die Nachricht vom Aufruhr in diesem Garten Eden kam für viele überraschend. Denn das Naturparadies gehört eigentlich zu Jemen.

Den Einheimischen war es gelungen, den Krieg, der seit fünf Jahren auf dem jemenitischen Festland tobt, von ihrem Eiland fernzuhalten – eine Leistung. Mit der Ruhe scheint es nun vorbei zu sein.

Wie der Sturm auf den Gouverneurspalast Sokotras genau ablief, wie blutig er war, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Sicher ist nur, dass das Interesse der Vereinigten Arabischen Emirate an der abgeschiedenen jemenitischen Insel nicht erst damit begann.

Ein fragwürdiges Engagement

«Seit fünf Jahren engagierten sich die Ölscheichs zunehmend stärker», sagt Bethan McKernan, die Korrespondentin der britischen Zeitung «The Guardian». Damals wurde Sokotra von verheerenden Wirbelstürmen heimgesucht.

Sokotra - die Galapagos-Inseln des Indischen Ozeans

Die Vereinigten Arabischen Emirate finanzierten den Wiederaufbau, liessen eine Schule errichten und Strassen flicken. Auf die Hilfslieferungen folgten die Soldaten. «Die Emirate bauten einen Stützpunkt für ihre Armee», sagt McKernan. «Schon seit dann tun die Emiratis auf Sokotra eigentlich, was sie wollen», sagt sie. Im Grunde sei es egal, wer im Gouverneurspalast sitze.

Die Korrespondentin besuchte Sokotra vor zwei Jahren, nach einer abenteuerlichen Überfahrt auf einem Fischkutter. Dort angekommen sah sie als erste ausländische Journalistin die emiratische Armeepräsenz mit eigenen Augen.

Sokotra ist eine Art Kronjuwel in der emiratischen Regionalstrategie.
Autor: Bethan McKernan Korrespondentin des «Guardian»

Wenige zehntausend Menschen leben auf der Insel, die meisten vom Fischfang. Seltene Vögel nisten und uralte Drachenblutbäume mit spektakulären schirmförmigen Baumkronen wachsen auf einer Fläche zweimal so gross wie der Kanton Zürich. Um Botanik geht es den Emiratis aber kaum.

«Sokotra ist eine Art Kronjuwel in der emiratischen Regionalstrategie», sagt Bethan McKernan. Tatsächlich verfolgt das kleine aber unverschämt reiche Ölscheichtum seit einigen Jahren eine immer aggressivere Aussenpolitik. Sie trägt die Handschrift von Mohammed bin Zeyed, dem starken Mann von Abu Dhabi und Thronfolger der Emirate.

Seit dem Arabischen Frühling investiert Mohammed bin Zeyed Milliarden, um in der arabischen Welt Protestbewegungen niederzuhalten. Insbesondere die islamistischen Muslimbrüder sieht er als grosse Feinde für die Stabilität. Wohl in der Angst, sie könnten Revolten anstossen und so das Modell der Alleinherrschaft, wie er es vertritt, unterminieren.

Entsprechend setzen die Emirate in den Konflikten der Region häufig auf Warlords und autoritäre Regime, von Sudan über Ägypten bis Libyen ging das so. Als Rivalen der Emiratis rüsten dann häufig die Türkei und Katar die Gegenseite hoch.

Interesse an Schifffahrtsrouten

In Jemen, gleich vor der Haustür, ist die Lage komplizierter. Dort unterstützen die Emiratis diese sogenannten Separatisten, die Südjemen vom Norden abspalten wollen. Dabei würden sich wirtschaftliche Interessen mit den sicherheitspolitischen verbinden, sagt McKernan, die britische Korrespondentin.

Die Emirate produzieren Öl und Gas, sie sind aber auch sonst ein zentraler Umschlagplatz im Seehandel zwischen Asien und Europa. Sie sind somit angewiesen auf sichere Schifffahrtsrouten.

Sokotra ist mit seiner Armeebasis der perfekte Standort, um das Nadelöhr für die Schifffahrt zu überwachen.
Autor: Bethan McKernan Korrespondentin des «Guardian»

Deshalb engagieren sich die Emirate auch weit ausserhalb ihrer Landesgrenzen, schliessen Abkommen mit Regierungen oder rüsten Milizen auf. Sie investieren aber auch direkt in Hafenanlagen – in Dschibuti und Somalia oder in Südjemen.

Die südjemenitische Küste verläuft parallel zur wichtigsten Seefahrtroute für die Emirate, vom Golf von Aden ins Rote Meer, dem sogenannten «Tor der Tränen». Über ihre Verbündeten kontrollieren die Emirate bereits den Hafen von Aden. Die Insel Sokotra ist wie das Gegenstück zu Aden, draussen im arabischen Meer.

«Sokotra ist mit seiner Armeebasis der perfekte Standort, um das Nadelöhr für die Schifffahrt zu überwachen», sagt Bethan McKernan. Wie ein vertäuter Flugzeugträger liegt dieser Garten Eden da auf der Tankerroute zum «Tor der Tränen».

Rendez-vous vom 07.07.2020, 12.30 Uhr; sibl

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