Die Fälle von russischen Prominenten, die aus dem Fenster in den Tod gestürzt sind, häufen sich. Das jüngste Beispiel: Pawel Antow, russischer Regionalabgeordneter, ist in Indien aus dem dritten Stock eines Hotels in den Tod gestürzt. Russland-Kenner Ulrich Schmid ordnet die seltsamen Todesfälle seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ein.
SRF News: Wie viele Russen sind bereits auf seltsame Art und Weise gestorben?
Ulrich Schmid: Ungefähr 20 Oligarchen und Personen in wichtigen Positionen, vor allem in Banken und Erdölfirmen. Teilweise wurden sie mit einer Selbstmordnotiz gefunden. Die Häufung dieser Todesfälle ist sicher nicht zufällig und zeigt, wie angespannt die Situation in dieser Kriegslage ist.
Man kann davon ausgehen, dass solche auffälligen Todesfälle immer auch eine Mitteilung beinhalten.
Auffällig ist, dass im Jahr 2022 die Zahl dieser seltsamen Todesfälle zugenommen hat. Zuvor gab es Anschläge aus politischen Gründen, wie zum Beispiel die Vergiftung des übergelaufenen Geheimdienstmitarbeiters Alexander Litwinenko, der im Jahr 2006 mit der radioaktiven Substanz Polonium ermordet wurde.
Wieso ist derzeit häufig von Fensterstürzen als Todesursache zu lesen?
Es gibt tatsächlich eine Häufung von verdächtigen Fällen, in denen Manager und Oligarchen aus Fenstern gestürzt sind, wobei Suizide nicht ausgeschlossen werden können. Diese Fälle erlangen deshalb Aufmerksamkeit, weil man bei diesen erfolgreichen Managern nicht davon ausgeht, dass sie sich von heute auf morgen umbringen.
Wenn es sich tatsächlich um Morde handelt, hinterlassen Fensterstürze im Körper der Toten keine chemischen Spuren und senden gleichzeitig das gewünschte Signal nach aussen. Man kann davon ausgehen, dass solche auffälligen Todesfälle immer auch eine Mitteilung beinhalten. Man will anderen Leuten signalisieren, dass es eine rote Linie gibt und ein gewisses Verhaltensmuster eingehalten werden muss – ansonsten wird es gefährlich.
Kann man ein Muster erkennen, dass Oligarchen bei Fensterstürzen sterben und Politiker auf eine andere Art?
Das Erschiessen von Opfern und Sprengstoffattentate sind deutliche Muster, wenn es um die Eliminierung von politischen Oppositionellen geht, die dem Kreml gefährlich werden können. Vergiftung ist hauptsächlich im Geheimdienstmilieu üblich, obwohl man das im Fall Alexej Nawalny auch bei einem politischen Oppositionellen verwendet hat. Die Fensterstürze scheinen tatsächlich mehr im Oligarchenmilieu verbreitet zu sein.
Bekommen Fensterstürze nicht dieselbe Handschrift wie Vergiftungen, wenn sie sich häufen?
Es gibt sicher auch einen Nachahmungseffekt, wenn einmal eine kritische Zahl von Menschen durch Fensterstürze ums Leben gekommen ist. Allerdings befinden sich diese Menschen nicht direkt im politischen Umfeld des Kremls und es kann durchaus auch sein, dass auch mafiöse Umtriebe dahinter stecken.
Denn die Oligarchen sind seit Kriegsausbruch in einer kritischen Situation. Ihre Auslandsguthaben wurden gesperrt und sie müssen ihre Geschäftsmodelle neu überdenken. Es ist sehr schwierig geworden für die Oligarchen – und in diesem Sinne ist das Feld ihrer Aktivitäten enger geworden, was den Konkurrenzdruck sicher erhöht hat.
Gibt es Hinweise, dass der Kreml hinter den Fensterstürzen stecken könnte?
Nein, es ist reine Spekulation, was sicher auch von der Täterschaft so beabsichtigt ist. Man will zwar ein gewisses Medieninteresse, aber man hat auch ein Interesse daran, dass es bei Spekulationen bleibt.
Das Gespräch führte Saya Bausch.