Ein gutes Jahr ist der irakische Premier Mohammed Shia' Al Sudani im Amt. Ein relativ ruhiges Jahr für das von Kriegen erschütterte Land. Angriffe militanter Gruppierungen auf die noch 2500 US-Truppenmitglieder im Land blieben weitgehend folgenlos und auch die Reaktion der USA fiel meist verhalten aus.
Gaza-Krieg lähmt die irakische Regierung
Seit dem Ausbruch des Krieges in Gaza ist es aber vorbei mit der relativen Ruhe im Irak. Die US-Armee zählte letzten Monat über 60 Angriffe auf ihre Stützpunkte im Irak und in Syrien, dabei wurden mehrere Dutzend ihrer Soldaten verwundet. Und diese Woche hat ein Luftschlag der US-Armee fünf Mitglieder einer pro-iranischen Miliz südlich von Bagdad getötet.
Eine Herausforderung für Sudanis Regierung, sagt die Irak-Spezialistin der Denkfabrik International Crisis Group, Lahib Higel: «Die USA haben noch immer militärische Berater im Irak und auch wirtschaftlich ist das Land weiterhin angewiesen auf die USA.» So könne sich der Premierminister nur halbherzig für die Palästinenser und Palästinenserinnen einsetzen.
Eine Lücke, die militante Gruppierungen zu nutzen wissen. Seit Wochen heizen sie die Stimmung im Irak an. «Hardliner, welche politische Parteien, aber auch Milizen kontrollierten, dominieren im Irak den Diskurs in Bezug auf Gaza», so Higel.
Muktada As-Sader schwebt ein politisches Comeback vor.
Etwa der schiitische Kleriker und Politiker Muktada As-Sader. Dieser rief rund 4000 seiner Anhänger zu einem Sit-in an der irakisch-jordanischen Grenze auf. Dies, um seine Bereitschaft zu demonstrieren, in die palästinensischen Gebiete einzumarschieren. Rhetorik sei das, sagt Irakspezialistin Higel. Solche Mobilisierungen hätten vor allem eine innenpolitische Bedeutung: «Sader schwebt ein politisches Comeback vor.» Die Partei des Klerikers hatte die letzte Parlamentswahl vor zwei Jahren eigentlich gewonnen, doch schaffte er es nicht, eine Regierung zu bilden.
Es kam zu turbulenten Szenen: Sader liess das Regierungsgebäude stürmen, kurz darauf zog er sich aus der Politik zurück. Aber nur vorübergehend, meint Lahib Higel. «Diesen Sommer boten ihm Koranverbrennungen in Schweden eine erste Gelegenheit, sich wieder in Szene zu setzen. Er rief Tausende seiner Anhänger dazu auf, die schwedische Botschaft in Bagdad zu stürmen. Der Gaza-Krieg ist nun eine neue Chance für ihn, die Regierung in Verruf zu bringen.»
Die Hardliner dominieren
Das gilt nicht nur für Sader. Der Krieg bietet verschiedenen radikalen Gruppierungen die Möglichkeit, sich als die wahren Verfechter der palästinensischen Sache zu profilieren: Mit Geiselnahmen, Demonstrationen und vermehrten Angriffen auf US-Stützpunkte versuchen sie, Aufmerksamkeit zu erlangen.
Das habe eine destabilisierende Wirkung auf den Irak, doch sei momentan noch nicht davon auszugehen, dass dies die Regierung tatsächlich gefährden würde, sagt Lahib Higel von der International Crisis Group. «Die Regierung versucht sich im Moment gegen alle Seiten abzusichern. Das ist keine einfache Aufgabe.»
Der Gaza-Krieg scheint auch im Irak zu einer Bewährungsprobe für die Stabilität zu werden. Im Dezember stehen Kommunalwahlen an, da dürfte sich weisen, welche Position in der Bevölkerung am meisten Rückhalt geniesst.