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Beihilfe zum Suizid Österreich ermöglicht Sterbehilfe – unter strengen Auflagen

In Österreich können schwer kranke Menschen vom neuen Jahr an Zugang zu tödlichen Medikamenten erhalten.

Österreich erlaubt ab dem neuen Jahr die Beihilfe zum Suizid. Das Parlament in Wien beschloss am Donnerstagabend mit grosser Mehrheit entsprechende gesetzliche Regeln. Die Möglichkeit einer Sterbeverfügung – ähnlich einer Patientenverfügung – steht allerdings nur Menschen offen, die dauerhaft schwer krank sind sowie unheilbar Kranken.

Aktive Sterbehilfe bleibt verboten. »Ein Dritter darf ein tödliches Medikament besorgen, er darf es aber nicht verabreichen«, berichtet SRF-Korrespondent Peter Balzli aus Wien.

Tödliches Medikament vor leerem Bett
Legende: Die Sterbehilfe, wie sie die Schweiz und nun auch Österreich kennen, ist weltweit nach wie vor nur in wenigen Staaten möglich. Keystone

Die Neuregelung wurde notwendig, nachdem der Verfassungsgerichtshof das Verbot des assistierten Suizids aufgehoben hatte. Aus Sicht der Richter verstösst dies gegen das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung. «Für sie umfasst diese Selbstbestimmung nicht nur die Gestaltung des Lebens, sondern auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben», so Balzli. Dazu gehöre auch das Recht, die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen, um den Sterbewunsch zu erfüllen.

Strenge Voraussetzungen

Dem neuen «Sterbeverfügungsgesetz» zufolge müssen vor einer Selbsttötung mehrere Voraussetzungen erfüllt werden: ein Mindestalter von 18 Jahren, eine medizinische Diagnose, Aufklärungsgespräche mit zwei Ärzten sowie eine mehrwöchige Bedenkzeit. Erst dann dürfen Kranke bei einem Notar oder Patientenanwalt ihre Verfügung aufsetzen. Danach können sie in einer Apotheke ein tödliches Medikament bekommen.

Der Nationalrat in Wien
Legende: Die regierenden Konservativen (ÖVP) und Grünen unterstützten das Gesetz im Nationalrat ebenso wie die oppositionellen Sozialdemokraten und die liberalen Neos. Nur die rechte FPÖ stimmte nicht zu. Keystone

Korrespondent Balzli erklärt den breiten politischen Konsens damit, dass die Sterbehilfe generell ein Anliegen linker und liberaler Kreise sei. «Und sie stehen derzeit in Österreich in der Opposition.» Die katholisch-konservative ÖVP und die Grünen, die in Wien regieren, hätten ihrerseits den Entscheid des Verfassungsgerichts umsetzen müssen.

Schweiz als «abschreckendes Beispiel»

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Bei der Ausarbeitung des Gesetzes sei die Ausgestaltung der Sterbehilfe in der Schweiz durchaus ein Orientierungspunkt gewesen, sagt Korrespondent Peter Balzli. Dies aus dem einfachen Grund, weil nach wie vor nur wenige Länder die Sterbehilfe überhaupt erlauben. «Die Schweiz wurde in den Diskussionen aber oft eher als abschreckendes Beispiel bezeichnet.»

Insbesondere für die katholisch-konservative Regierungspartei geht die Schweizer Lösung zu weit. «Denn damit drohe die Sterbehilfe zu einem lukrativen Geschäft zu werden, war in der Debatte oft zu hören. Das sei mit allen Mitteln zu verhindern.» Dem wurde mit den rigiden Auflagen für die Sterbehilfe Rechnung getragen – die österreichische Lösung ist deutlich weniger liberal ausgestaltet als die schweizerische.

«Es war für Regierungskoalition also einfach, die Sozialdemokraten und die liberalen Neos ins Boot zu holen», sagt Balzli. Die FPÖ habe wohl lediglich aus grundsätzlichem Trotz gegen alles, das von der Regierung kommt, gegen das Gesetz gestimmt.

Katholische Kirche sieht «Kulturbruch»

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) verwies darauf, dass auch Massnahmen ergriffen würden, um Alternativen zum Suizid zu bieten. Ein Gesetz zum Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sei in Arbeit. Die Regierung stelle auch mehr Geld zur Vorbeugung vor Suiziden zur Verfügung.

An der Grundsatzkritik der katholischen Kirche an der Sterbehilfe ändert das nichts. Der Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz reagierte bestürzt: Das Sterbehilfe-Urteil des Verfassungsgerichts sei ein «Kulturbruch» und eine Gefahr für die gesellschaftliche Solidarität, kritisierte der Salzburger Erzbischof Franz Lackner.

Regelung zur Sterbehilfe in der Schweiz

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  • Direkte aktive Sterbehilfe: Gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines anderen Menschen. Der Arzt oder ein Dritter verabreicht dem Patienten absichtlich eine Spritze, die direkt zum Tod führt. Diese Form der Sterbehilfe ist heute nach Artikel 111 (vorsätzliche Tötung), Artikel 114 (Tötung auf Verlangen) oder Artikel 113 (Totschlag) StGB strafbar.
  • Indirekte aktive Sterbehilfe: Zur Linderung von Leiden werden Mittel (z.B. Morphium) eingesetzt, die als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können. Der möglicherweise früher eintretende Tod wird in Kauf genommen. Diese Art der Sterbehilfe ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als grundsätzlich erlaubt.
  • Passive Sterbehilfe: Verzicht auf die Aufnahme oder den Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen. Diese Form der Sterbehilfe ist ebenfalls gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wird aber als erlaubt angesehen.
  • Beihilfe zum Selbstmord (auch Suizidhilfe genannt): Bei der Suizidhilfe geht es darum, dem Patienten die tödliche Substanz zu vermitteln, die der Suizidwillige ohne Fremdeinwirkung selber einnimmt. Organisationen wie Exit leisten Suizidhilfe im Rahmen dieses Gesetzes. Sie sind nicht strafbar, solange ihnen keine selbstsüchtigen Motive vorgeworfen werden können.

Quelle: Bundesamt für Justiz (BJ)

SRF 4 News, 17.12.2021, 10:20 Uhr ; 

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