«Hier war der Eiserne Vorhang, hier war's aus», erinnert sich Tanja Buchebner-Böhm, die Leiterin der Volksschule von Kittsee, an ihre eigene Kindheit und Jugend. Ausser gut 30'000 Aprikosenbäumen gab es hier nichts. Die Bevölkerung schrumpfte.
Heute wachsen nur ein paar Kilometer von hier die Wolkenkratzer von Bratislava in den Himmel. Die slowakische Hauptstadt boomt. Viele junge Familien können sich das Leben dort nicht mehr leisten und sind in den letzten zehn Jahren nach Kittsee gekommen.
Grosse Mehrheit der Kinder spricht Slowakisch
Die Folgen zeigen sich nirgendwo deutlicher als in der Volksschule: Von den 260 Schulkindern sprechen rund 200 zu Hause Slowakisch. «Ihnen so gut Deutsch beizubringen, dass sie in Österreich mithalten können», das sei die grosse Herausforderung für die Schule, sagt Schulleiterin Buchebner-Böhm.
Sie findet, dass das ganz gut gelinge, weil viele Zugewanderte sehr an der Bildung ihrer Kinder interessiert seien. Die Statistik gibt ihr recht: In österreichweiten Schulvergleichen liegt Kittsee im Mittelfeld.
Mehr als 4'000 Einwohner sind genug.
Auch Jana Grosserova und ihr Mann sind vor ein paar Jahren mit ihrer Tochter aus Bratislava nach Kittsee gezogen. Hier konnten sie sich das Haus leisten, das für sie in der slowakischen Hauptstadt unerschwinglich war.
Seit fünf Jahren betreibt Grosserova am Hauptplatz von Kittsee ein Bistro, in dem zur Mittagszeit österreichische Gäste neben slowakischen Gästen sitzen. «Das hat mich überrascht. Ich dachte, es würden vor allem andere Slowaken zu mir kommen», sagt die Wirtin. Grosserova ist in Kittsee inzwischen heimisch geworden. Sie schätzt das dörfliche Ambiente und möchte, dass das Dorf so bleibt, wie es ist. «Mehr als 4'000 Einwohner sind genug.»
Es ist ein Privileg, dass wir hier im Ort wieder so viele Kinder sehen.
Der Bürgermeister von Kittsee, Johannes Hornek, geht allerdings davon aus, dass noch mehr slowakische Familien kommen werden. Angst, dass das Dorf deshalb seinen Charakter verliert, hat er nicht. «Wenn auf der einen Seite der Ortschaft eine kleine Siedlung mit drei-, vierhundert Leuten entsteht und auf der anderen Seite auch, dann ist das doch kein Problem.» Entscheidend sei, dass der Ort nicht allzu schnell wachse. Er selbst freue sich vor allem, dass es wieder mehr Kinder im Dorf gebe.
Mentalität ist fast die gleiche
Bald wird die Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwohner von Kittsee einen slowakischen Pass haben. Auch das sei kein Problem, sagt der Bürgermeister. Die Mentalität sei auf beiden Seiten der nahen Grenze sowieso fast die gleiche. Und tatsächlich ist im Dorf niemand zu finden, der sich vor dem Mikrofon über die Zuwanderung beklagen möchte.
Das dürfte auch damit zu tun haben, dass viele Alteingesessene Grundstücke an Zugewanderte aus der Slowakei verkauft und damit sehr gut verdient hätten: «Der grösste Vorteil der Zuwanderung ist ein monetärer. Die Nachfrage nach Grundstücken hat die Preise in Höhen getrieben, die jenseits von Gut und Böse sind», sagt Bürgermeister Hornek.
Geld und Kinder: Beide Faktoren tragen dazu bei, dass die Zuwanderung aus dem Osten in Kittsee kein Beispiel für Überfremdung ist, sondern ein Beispiel für Wiederbelebung.