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Besetzte ukrainische Regionen «Die Partisanen demoralisieren die russischen Besatzer»

Alles ist bereit für die ukrainische Gegenoffensive gegen die russischen Angreifer. Im Hintergrund respektive im Untergrund der besetzten Gebiete passiert derweil einiges: Ukrainische Widerstandskämpfer sabotieren die Besatzer, wo immer sie können, erklärt Ausland-Redaktor David Nauer im «Echo der Zeit».

David Nauer

Ukraine- und Russland-Korrespondent

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David Nauer ist Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF TV. Von 2016 bis 2021 war er als Radio-Korrespondent in Russland tätig. Zuvor war er Russland-Korrespondent des «Tages-Anzeigers». Nauer reist seit Beginn des russischen Angriffskriegs regelmässig in die Ukraine.

Hier finden Sie weitere Artikel von David Nauer und Informationen zu seiner Person.

SRF News: Was weiss man über diese Untergrundkämpfer in den besetzten Gebieten?

David Nauer: Partisanen agieren verdeckt aus dem Untergrund. Man weiss also nicht, wie sie sich organisieren. Aber man weiss, was sie tun: Das beginnt mit harmlosen Dingen wie etwa antirussischen Sprayereien, mit Flugblättern, mit antirussischer Agitation im Internet. Sie kämpfen aber auch mit Waffen und verüben Anschläge, etwa auf die Infrastruktur: So sind Eisenbahnlinien gesprengt worden, die von der russischen Armee für den Nachschub verwendet werden. 

Woher beziehen Sie Ihre Informationen über die ukrainischen Widerstandskämpfer?

Einerseits berichtet Russland selber über einzelne Anschläge. Darum wissen wir, dass es die Partisanen wirklich gibt. Aber der ukrainische Widerstand kommuniziert auch selber. Auf Telegram und im Internet gibt es Gruppen, die über ihre Aktivitäten berichten. Bekannt ist die Gruppe «Atesch». Sie publiziert laufend Bilder von russischen Soldaten in besetzten Gebieten, bedroht Kollaborateure und übernimmt auch Verantwortung für Anschläge. So hat sich «Atesch» auch zum Anschlag auf den russischen Ultranationalisten Sachar Prilepin bekannt. Aber dieser Anschlag hat sich im russischen Nischni Nowgorod ereignet. Darum ist es unklar, ob tatsächlich «Atesch» dahinter steckt oder ob sie nur bluffen.

Sie schaffen es, ein Gefühl der Unsicherheit zu verbreiten unter denjenigen, die mit den russischen Besatzern kollaborieren.

Was bewirken die Widerstandskämpfer?

Mit den Aktionen stören sie zweifellos die Logistik der russischen Besatzer. Primär aber bauen sie psychologischen Druck auf. Sie schaffen es, ein Gefühl der Unsicherheit zu verbreiten unter denjenigen, die mit den russischen Besatzern kollaborieren. 

Was sagen die Sabotageakte aus über den Zustand der russischen Besatzer?

Der Eindruck ist, dass die russische Kontrolle in den eroberten Gebieten nicht so stark ist. Proukrainische Kräfte können immer noch operieren, vielleicht infiltrieren auch ukrainische Agenten über die Frontlinie hinweg die besetzten Gebiete. Die Besatzer haben diese Gebiete also noch nicht gesichert.

Ein russischer Soldat läuft an brennenden Trümmern vorbei
Legende: Im Oktober 2022 expodierte nahe dem Fernsehsender ZaTV in Melitopol, in der von Russland besetzten Region Saporischja, eine Autobombe und verletzte fünf Menschen. Keystone / EPA STRINGER

Wie sind diese Sabotageakte mit Blick auf eine Offensive der Ukraine zu bewerten?

Diese Taten sollen die Offensive vorbereiten. Dazu gehört, Kollaborateure und Besatzer zu demoralisieren. Das kann militärisch durchaus relevant sein. Das hat man schon früher gesehen, dass russische Truppen sehr schnell abzogen, als die ukrainische Armee anrückte. Man weiss aber nicht, ob das diesmal auch gelingt. 

Es ist also durchaus möglich, dass es von dieser Offensive abhängt, wer am Schluss den Krieg gewinnt.

Was könnten die Ziele bei einer Gegenoffensive sein?

Wir wissen es nicht und darüber wird viel spekuliert. Man kann aber sagen, dass die Erwartungen riesig sind. Die Ukraine soll oder muss grössere Gebiete befreien. Es besteht der Eindruck, dass diese Offensive so etwas wie eine Entscheidungsschlacht werden soll. Sollte der Ukraine ein grosser Durchbruch gelingen, dann dürfte in vielen westlichen Hauptstädten der Konsens bestehen, dass man die Ukraine weiter mit Waffen unterstützen muss, um die Besatzer endgültig aus dem Land zu vertreiben. Wenn die Offensive aber stecken bleibt, könnte im Westen der Wille schwinden, das Land weiter zu unterstützen. Davon würde Russland wieder profitieren. Es ist also durchaus möglich, dass es von dieser Offensive abhängt, wer am Schluss den Krieg gewinnt.

Echo der Zeit, 06.05.2023, 18:00 Uhr ; 

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