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Besuch im Gefangenenlager «Die meisten russischen Gefangenen wirkten gefasst»

Im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine geraten viele Soldaten und Kämpfer beider Seiten in Kriegsgefangenschaft. Während Russland seine Gefangenenlager für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz geschlossen hält, kann das IKRK die Lager in der Ukraine besuchen. Mit dabei war kürzlich auch die «Zeit»-Journalistin Olivia Kortas.

Olivia Kortas

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Die Journalistin Olivia Kortas berichtet u.a. für «Die Zeit» aus Osteuropa und Russland, seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar 2022 vor allem aus der Ukraine.

SRF News: Was haben Sie in dem Lager mit russischen Gefangenen in der Westukraine gesehen?

Olivia Kortas: Das Lagergelände umfasst mehrere Gebäude und ist mit Stacheldraht umzäunt. Es gibt ein Kantinen-Gebäude, Schlafgebäude und Werkstätten, wo die Gefangenen tagsüber arbeiten.

Die Kriegsgefangenen tragen Gefängniskleidung, müssen mit gebücktem Rücken gehen und dürfen den Blick nicht heben.

Die Gebäude sind geheizt. Das Lager stammt aus dem Jahr 1978, wurde seither als Strafkolonie gebraucht und erinnert entsprechend an Sowjetzeiten. Alles ist etwas verfallen und düster. Die Inhaftierten tragen Gefangenenkleidung, müssen mit gebücktem Rücken gehen und dürfen den Blick nicht heben.

Zu ihrem Besuch sagt Olivia Kortas:

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Kriegsgefangene beim Essen an Tisch.
Legende: Getty Images/SOPA Images / Kontributor

«Bevor ich ins Gefangenenlager gereist bin, habe ich mit UNO-Vertretern gesprochen, die ihrerseits bereits rund zehn Gefangenenlager mit Kriegsgefangenen in der Ukraine besucht hatten. Sie rieten mir dazu, dorthin zu fahren, weil das entsprechende Lager durchaus repräsentativ sei für die Haftbedingungen der Kriegsgefangenen in der Ukraine. Im Lager konnte ich sprechen, mit wem ich wollte – das war eine der Bedingungen, damit ich das Lager überhaupt besucht habe. Aber klar, ich habe nicht alles gesehen: Ich habe die Zellen der Gefangenen nicht gesehen, ausserdem muss man sich bewusst sein, dass die ukrainischen Behörden ein Interesse daran haben, gut dazustehen. Sie wollen zeigen, dass sie sich an internationale Regeln halten und die Gefangenen entsprechend behandeln.»

Hier geht's zur Onlineversion der Reportage in «Die Zeit», welche Kortas für die deutsche Wochenzeitung nach ihrem Besuch des Kriegsgefangenenlagers verfasst hat.

Wie geht es den Kriegsgefangenen in der Ukraine?

Wer schon länger dort war, wirkte eher ruhig und gefasst. Ich sprach auch mit einem Wagner-Söldner, der erst einen Tag im Lager war und stark traumatisiert wirkte. Er kam offenbar direkt von der Front, wo er unter ukrainischem Beschuss gestanden hatte.

Was sagen die russischen Kriegsgefangenen über ihre Einstellung gegenüber ihrem Heimatland?

Viele der Inhaftierten sind Wagner-Söldner, die zuvor in russischen Gefängnissen sassen und sich für einen Straferlass zum Kriegsdienst anheuern liessen. Manche von ihnen wussten gar nicht, wofür sie an der Front gekämpft hatten.

Viele der Gefangenen gaben an, nicht gewusst zu haben, wofür sie gekämpft haben.

Einer dachte, es ginge um Bodenschätze, andere sagten, es sei halt einfach patriotische Pflicht, in diesen Krieg zu ziehen. Viele sagten aber auch, dass sie an der Front gar nicht kämpfen wollten, weil sie nicht wussten, wofür sie kämpften. Sie fühlten sich als Spielbälle der Politik. Aber klar: In ukrainischer Gefangenschaft können sie gar nicht sagen, sie fänden den Angriff auf die Ukraine gut, denn das würde ihnen im Lager sicher schaden.

Anzahl der Kriegsgefangenen nicht bekannt

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Eine Gruppe Frauen posiert für ein Foto, sie sind in ukrainische Flaggen gehüllt.
Legende: Anfang April waren auch Dutzende ukrainische Frauen in einem Gefangenenaustausch mit den Russen freigekommen. Keystone

Wie viele Kriegsgefangene in der Ukraine respektive im Donbass und in Russland inhaftiert sind, ist unklar. Schätzungen gehen davon aus, dass es sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite jeweils mehrere Tausend Soldaten und Kämpfer sind.

Bekannt ist, dass es regelmässig zum Austausch von Gefangenen kommt. Erst vor wenigen Tagen kamen rund 100 Ukrainer und im Gegenzug rund 100 Russen frei. Das Thema Gefangenenaustausch ist das einzige Feld, über das beide Kriegsparteien derzeit noch miteinander verhandeln.

Hat sich ihre Einstellung gegenüber Russland in Kriegsgefangenschaft verändert?

Tendenziell ja – aber viele wollten eigentlich von Anfang an gar nicht in diesen Krieg ziehen. Einer sagte mir, er würde den Russen jetzt gerne erklären, dass sie in der Ukraine nicht gebraucht würden. Er sei davon ausgegangen, dass die Russen in der Ukraine willkommen seien, habe nun durch den Krieg aber verstanden, dass dem nicht so sei, erklärte er mir.

Gibt es Anzeichen dafür, dass es in dem Lager zu Misshandlungen kommt?

Laut der UNO kommt es vor allem in Gefangenenlagern in Russland zu Misshandlungen, in ukrainischen Lagern soll das nur sehr selten vorkommen. Auf entsprechende Fragen wollten die russischen Gefangenen in dem Lager, das ich besucht hab, aber nicht antworten – vielleicht, weil sie tatsächlich Misshandlungen erlebt hatten. Womöglich geschah dies aber bei der Gefangennahme oder beim Transport ins Lager.

Laut der UNO kommt es in ukrainischen Gefangenenlagern nur sehr selten zu Misshandlungen.

Laut der UNO – ich habe mit Vertretern gesprochen, die mit mehr als 220 russischen Gefangenen gesprochen hatten – greifen die ukrainischen Behörden scharf durch, sollte es in seltenen Fällen doch zu Misshandlungen in Gefangenenlagern kommen.

Das Gespräch führte Yves Kilchör.

Link zum Thema:

SRF 4 News, 18.04.2023, 07:20 Uhr ; 

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