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Ein Jahr Krieg in der Ukraine Kriegsgefangene aus Mariupol: «Hunde wurden besser gefüttert»

«Nach einem Jahr Krieg ist die Ukraine wie ein Meer aus Trauer und Leid», sagt SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky. Für den SRF-Club hat sie drei Schicksale aus der Ukraine porträtiert.

Olga Schapowalowa: Gefangene Militärsanitäterin

«Der Krieg hat mein Leben verändert», sagt Olga Schapowalowa. Die Militärsanitäterin ist in Mariupol geboren, aufgewachsen und arbeitete hier in einem Militärspital, als dieses am 16. März 2022 durch eine Bombe zerstört wurde.

«Wir sind fünfmal mit den Verwundeten umgezogen: Wir haben sie aufgeladen, sind in neue Bunker eingezogen, haben für ein paar Tage gearbeitet und sind wieder weitergezogen. Als unsere Fluchtversuche scheiterten und wir die Einkesselung nicht durchbrechen konnte, kehrten wir zurück in den Bunker. An diesem Morgen haben uns russische Soldaten gefangengenommen», erzählt die Sanitäterin.

Den Gefangenen wurde nicht gesagt, wohin man sie bringen würde, so Olga weiter. Sie hätten aber die Grenze zu Russland überquert: «Wir wurden durchsucht und man hat uns auf die Beine geschlagen. Sie haben uns zu Verhören geführt und fast kein Essen gegeben. Hunde werden besser gefüttert. Alle von uns haben in der Gefangenschaft um die 15 Kilogramm abgenommen.»

Am 17. Oktober kommt Olga bei einem Gefangenenaustausch aus der russischen Kriegsgefangenschaft frei.

Oksana Suworowa: Verwundete und Geflüchtete

«Der Krieg hat mich zur Invalidin gemacht», sagt Oksana Suworowa aus Bachmut. Sie ging mit ihrem Mann durch die Stadt, als eine Fliegerbombe einschlug. «Ich kam erst unter der Erde wieder zu mir. Mein Mann hat Hilfe geholt, Soldaten haben mich sofort ins Spital gefahren. Dort lag ich vier Tage im Koma», sagt die Frau.

Im Spital in Dnepr hiess es, ihr Bein müsse amputiert werden, man könne nichts mehr tun: «Ich fragte noch, wie viel amputiert werde. Es hiess alles vom Knie aufwärts werde bleiben», erinnert sich Oksana. Doch sie hatte Glück: Das Bein konnte doch noch gerettet werden.

«Danach sind wir aus unserem Dorf in der Nähe von Bachmut weggefahren», erzählt die Frau weiter. «Zwei Tage später wurde es von den Russen besetzt. Die Leute, die dortgeblieben sind, wurden nach Russland gebracht. Wir wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist.»

«Ich weiss nicht, wie ich mich bewegen werde», so Oksana. Gehen mit einem Stock fällt weg, denn sie darf für viele Monate auch ihre Hände nicht belasten. «Ich träume davon, wieder auf meinen Beinen zu stehen.»

Glib Sokolow: Überlebender der russischen Cherson-Besatzung

Glib Sokolow hat die Besatzung von Cherson durch die russische Armee erlebt. «Ich war wütend, als der Krieg begonnen hat und habe mir um alle Sorgen gemacht, die in Cherson leben», sagt der 14-Jährige, «In den ukrainischen Nachrichten hiess es, dass die Russen ausserhalb von Cherson auf eine Ambulanz geschossen hätten.» Gemeinsam mit Freunden sieht er, wie russische Soldaten diverse Habseligkeiten und Güter aus Häusern und Geschäften trugen. «Sie haben Tische und Fernseher in Autos mit dem Buchstaben Z getragen», so Glib.

Er erlebte auch die Befreiung der Stadt durch die ukrainische Armee. Einen Tag danach war er im Stadtzentrum: «Ich hatte Freude, aber es war auch traurig.» Denn es wurde dem Jungen klar: Ab jetzt würden die Russen Charkiw beschiessen. «Weil unsere Soldaten hier sind, beschiessen die Russen die Stadt. Sie schiessen auf zivile Ziele, auf Menschen, einfach auf alles.»

SRF Club, 21.2.2023, 22:25 Uhr ; 

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