Worum geht es? In Indien haben es offenbar 171 Millionen der insgesamt rund 1.4 Milliarden dort lebenden Menschen seit 2011 aus der extremen Armut geschafft. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Weltbank, der die Situation von 2011 mit jener von 2022 vergleicht. Dem Bericht zufolge waren 2011 noch 17.3 Prozent der Inderinnen und Inder extrem arm. 2022 waren es nur noch 2.3 Prozent. Als extreme Armut definiert die Weltbank ein tägliches Einkommen von weniger als 2.15 Dollar.
Manche Ökonomen stellen die Statistik der Weltbank infrage – weil die Daten nicht vergleichbar seien.
Wieso problematisch? «Auf den ersten Blick sind das eindrückliche Zahlen», sagt die Südasien-Korrespondentin von Radio SRF, Maren Peters. Doch: «Es gibt Ökonomen, die die Statistik der Weltbank infrage stellen – weil die Daten von 2011 und 2022 nicht vergleichbar seien.» Der Hintergrund: Indien stoppte 2011 die umfassende Messung der Armut, deshalb musste die Weltbank andere Quellen und Methoden für die Daten heranziehen. Darum seien die Ergebnisse von 2011 und 2022 nicht vergleichbar, sagen die Kritiker der Studie.
Was ist der Hintergrund? Die Regierung von Premierminister Narendra Modi hat den Ruf, nicht sonderlich transparent mit Daten umzugehen – vor allem, wenn diese die Regierung in ein schlechtes Licht stellen. So soll eine Armutsstatistik 2017 in der Schublade verschwunden sein, weil das Ergebnis nicht den Erwartungen der Regierung entsprach. Auch ein Armutsbericht eines regierungsnahen Thinktanks von 2024 stelle die Situation zu positiv dar, so Kritiker. Beispielsweise wirkte sich gemäss dem Bericht die verheerende Covid-Krise nicht auf die Einkommen in Indien aus.
Was ist besser geworden? Trotz aller Kritik – in Indien hat sich in den letzten Jahren vieles zum Besseren verändert. Das liegt vor allem an grossen Sozialprogrammen. So unterstützt die Regierung inzwischen mehr als 800 Millionen der insgesamt 1.4 Milliarden Inderinnen und Inder mit Nahrungsmittel-Subventionen. Auch liess sie Millionen Toiletten bauen und Wasseranschlüsse verlegen. Dennoch ist Indien immer noch das ärmste Land unter den 20 grössten Wirtschaftsmächten.
Was steht jetzt an? Für Indien besteht die grösste Herausforderung darin, genügend Arbeitsplätze für die vielen jungen Menschen zu schaffen – damit Leute nicht auf Dauer von Sozialprogrammen abhängig sind. Noch immer arbeitet fast die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft, Alternativen gibt es nur wenige. Wichtig wären Investitionen in Schulen und in das Gesundheitswesen, um Armut nachhaltig zu bekämpfen. «Das aber passiert nicht», sagt Korrespondentin Peters in Delhi. Und so profitierten nur wenige Inderinnen und Inder vom hohen Wirtschaftswachstum – und die Einkommensschere öffne sich immer weiter.