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Bevorstehende Grossoffensive Viele Fragezeichen rund um den israelischen Rafah-Plan

Israels Kabinett stellt den Plan für die Evakuierung der Zivilisten in Rafah vor. Eine Journalistin vor Ort schätzt ein.

Israel hat in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens eine Grossoffensive angekündigt. Denn laut Premierminister Benjamin Netanjahu halten sich dort weitere Terrorosten der militant-islamistischen Hamas auf. Das sorgt für Sorge, denn in Rafah leben rund 1.5 Millionen Palästinenser unter elenden Umständen. Selbst die Verbündeten USA rufen Israel zur Zurückhaltung auf – wegen des menschlichen Leids, das eine solche Offensive wohl zur Folge hätte.

Nun hat das israelische Kabinett einen Plan für die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Rafah vorgelegt. Journalistin Inga Rogg ordnet den Plan aus Israel ein.

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

SRF News: Was wissen Sie über diesen Plan?

Inga Rogg: Herzlich wenig. Die Regierung hat in der Nacht eine Erklärung abgegeben, die aus einem Satz besteht: Dass das Kriegskabinett diesen Plan vorgelegt habe. Jetzt heisst es aus Regierungskreisen: Es gibt gar nicht einen Plan, sondern mehrere – und es sei alles noch in der Diskussion. Es ist also vieles offen: Wer soll die Menschen aus Rafah evakuieren? Wohin sollen sie? Wie sollte die Evakuierung ablaufen?

Details kennt man also fast keine. Wie interpretieren Sie, dass dennoch über diesen Evakuierungsplan gesprochen wird?

Vermutlich hat es zum einen mit dem Druck seitens der US-Amerikaner zu tun. Sowohl Präsident Biden als auch andere Regierungsvertreter haben wiederholt erklärt, die Zivilbevölkerung in Rafah müsse geschützt werden. Überhaupt müsse Israel mehr tun, um die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen. Zum anderen könnte es einen Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln geben, die derzeit stattfinden, und dass Netanjahu damit seinerseits versucht, weiter Druck aufzubauen, indem er unterstreicht, Israel werde nach Rafah einmarschieren, um die verbleibenden Hamas-Kämpfer zu bekämpfen.

Die Autonomiebehörde, die einen kleinen Teil des Westjordanlands kontrolliert, hat in letzter Zeit stets an Macht verloren.

Heute wurde bekannt, dass der Ministerpräsident der palästinensischen Autonomiegebiete, Mohammed Schtaje, ein loyaler Mitarbeiter des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, zurücktreten will. Was steckt dahinter?

Aus Schtajes Erklärung sprach sehr viel Frustration. Die Autonomiebehörde, die einen kleinen Teil des Westjordanlands kontrolliert, hat in letzter Zeit stets an Macht verloren, weil die israelische Armee heute überall dort operiert, wo sie es für wichtig hält. Tausende Palästinenser sind festgenommen worden. Und die Autonomiebehörde hat kein Geld mehr. Er wollte schon früher zurücktreten. Jetzt sagt er, er will damit den Weg ebnen für einen breiten Konsens unter den Palästinensern, der auch angesichts dessen, was im Gazastreifen passiert, nötig sei.

Die Palästinensische Autonomiebehörde unter Abbas verwaltet Teile des von Israel besetzten Westjordanlandes. Welche Rolle könnte sie im Gazastreifen spielen?

Dort hat sie seit der Machtübernahme der Hamas keine Rolle mehr gespielt. Aber sie erhebt Anspruch, dass auch der Gazastreifen weiterhin Teil eines zukünftigen palästinensischen Staats sein muss. Das sagen auch die US-Amerikaner, die dort in einer Nachkriegsordnung – wie immer die dann aussehen mag – eine Rolle für die Autonomiebehörde sehen. Sie verlangen aber Reformen innerhalb der Autonomiebehörde. Auch die arabischen Verbündeten wie Ägypten oder Jordanien machen Druck. Zudem heisst es seitens der Golfstaaten, es brauche Reformen innerhalb der Autonomiebehörde.

Gibt es Alternativen für die palästinensische Autonomiebehörde?

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Inga Rogg: Netanjahu hat wiederholt erklärt, die Autonomiebehörde dürfe keine Rolle spielen. Jetzt hat er seinen Nachkriegsplan vorgelegt, der im Grunde genommen vorsieht, die Besatzung auszuweiten – nicht nur im Westjordanland, sondern vor allen Dingen auch im Gazastreifen.

Netanjahu schwebt vor, dass dann lokale Ausschüsse administrative Aufgaben übernehmen könnten. Aber das ist auch ein Luftballon, den er da loslässt. Wer soll das im Gazastreifen sein? Es braucht Personen, die Verwaltungserfahrung haben. Und das werden Personen sein, die entweder heute Technokraten innerhalb der Verwaltung im Gazastreifen sind, oder eben Personen seitens der Autonomiebehörde. Eine Alternative gibt es nicht.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

Echo der Zeit, 26.02.2024, 18:00 Uhr ; 

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