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Beziehung Türkei-USA «Die Türkei ist stark von den USA abhängig»

Wirtschaftlich leidet die Türkei unter den US-Sanktionen. Deshalb reagiere sie vorsichtig, sagt Journalist Seibert.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA sind zurzeit angespannt. Die Türkei hält den US-Pastor Andrew Brunson gefangen. Sie wirft ihm vor, Unterstützer des Putsches von 2016 gewesen zu sein. Die USA haben wegen des Falls gegen zwei türkische Minister Sanktionen verhängt, worauf die Türkei mit einer Retourkutsche gedroht hat. Doch umgesetzt hat sie bis anhin keine neuen Massnahmen. Warum das so ist, erklärt der Journalist Thomas Seibert.

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert verdiente sich seine journalistischen Sporen bei der «New York Times» und den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP, bevor er 1997 als freier Journalist in die Türkei ging. Nach einem kurzen Zwischenhalt als Berichterstatter in den USA kehrte er im Juni 2018 nach Istanbul zurück.

SRF News: Weshalb wurden neue Massnahmen nur angedroht?

Thomas Seibert: Zum einen, weil es für die Türkei sehr gefährlich ist. Sie ist wirtschaftlich stark von den USA abhängig. Zum anderen, weil die Türkei nicht so recht weiss, wie sie reagieren soll. Geeignete Gegenmassnahmen gegen ein so mächtiges politisches und wirtschaftliches Land zu finden, ist nicht einfach für Ankara.

Die Türkei verlangt von den USA seit Jahren, die Unterstützung der kurdischen Milizionäre einzustellen. Washington weigert sich.

Was steht für die Türkei auf dem Spiel?

Schon jetzt sieht man, dass diese Sanktionen der USA grosse wirtschaftliche Schäden in der Türkei nach sich ziehen. Die türkische Lira hat dramatisch gegenüber dem Dollar und dem Euro an Wert verloren. Die Türkei ist auf ausländische Investoren angewiesen. Diese könnten sich jetzt zurückziehen, weil die Türkei mit US-Sanktionen belegt worden ist. All das könnte eine ernsthafte Wirtschaftskrise in der Türkei auslösen. Das Spiel, das hier läuft, wird in der Türkei mit hohem Einsatz gespielt.

Es macht den Eindruck, die Türkei wolle Druck auf die USA ausüben, um die Auslieferung des Predigers Fethulla Gülen zu erzwingen. Hat sich die Regierung Erdogan verrechnet, als sie Brunson inhaftiert hat?

Das ist im Moment etwas undurchsichtig. Die Amerikaner sagen, Andrew Brunson sei eine Geisel der Türkei, er solle ausgetauscht werden gegen Gülen. Die Regierung Erdogan hingegen sagt, es sei ein rechtsstaatlicher Prozess, der gegen den Pastor laufe. Die Wahrheit liegt möglicherweise irgendwo dazwischen. Möglicherweise hat die türkische Justiz sich hier etwas vergaloppiert und hat Brunson unter fadenscheinigen Gründen in Haft genommen. Und möglicherweise versucht die Politik jetzt, diese Lage für sich auszunutzen.

Erdogan fährt seit Jahren besonders im Syrien-Konflikt einen sehr russlandfreundlichen Kurs.

Fakt ist, dass die Situation inzwischen sehr verfahren ist. Durch die Sanktionsdrohungen der USA kommt Erdogan auch unter innenpolitischen Druck. Alle Zeitungen hier in der Türkei schreiben, dass die Regierung im Streit mit den USA auf keinen Fall nachgeben dürfe. Das heisst, zumindest bis jetzt ist die Folge der amerikanischen Sanktionen, dass Brunson eben nicht freikommt.

Die Türkei und die USA waren einst befreundet und die beiden Staaten sind Nato-Partner. Ist die Entfremdung vor allem auf den Streit um Brunson zurückzuführen oder gibt es noch weitere Faktoren?

Es gibt sehr viele Felder, in denen die Türkei und die USA im Moment über Kreuz liegen. Das eine ist der Syrien-Konflikt. In Syrien unterstützen die USA kurdische Milizionäre, die von der Türkei als Terroristen angesehen werden. Die Türkei verlangt von den USA seit Jahren, diese Unterstützung einzustellen und Washington weigert sich und unterstützt die Kurden weiter.

Eine andere Baustelle ist die Entscheidung der Türkei, ein russisches Raketenabwehrsystem zu kaufen, das mit der Bewaffnung der Nato nicht kompatibel ist. Die Amerikaner verlangen, dass die Türkei von diesem Geschäft zurück tritt und drohen mit dem Stopp der Lieferung hochmoderner amerikanischer Kampfflugzeuge an den Nato-Partner Türkei. Es gibt eine ganze Menge von Konfliktfeldern. Das macht den Fall Branson noch komplizierter, weil viele andere Fragen mit hineinspielen.

Könnte mittel- oder längerfristig die Nato-Mitgliedschaft der Türkei auf dem Spiel stehen?

Nationalistische Kommentatoren hier in der Türkei fordern den Austritt ihres Landes aus der Nato. Tatsächlich ist es so, dass dieser Streit mit den USA dazu führen könnte, dass sich die Türkei von ihrer traditionellen Westbindung noch weiter löst. Erdogan fährt seit Jahren besonders im Syrien-Konflikt einen sehr russlandfreundlichen Kurs. Er liebäugelt immer wieder mit dem Beitritt der Türkei zu regionalen Organisationen, die von Russland und China dominiert werden, quasi als Alternative zur Nato und zu Europa. Bisher ist es nicht soweit. Kein einziger Regierungspolitiker fordert bisher den Austritt aus der Nato. Aber ich glaube, wenn die Krise nicht rasch beigelegt werden kann, dann könnte es mittelfristig sehr grosse Verwerfungen und eine aussenpolitische Neuausrichtung der Türkei Richtung Osten geben.

Treffen zwischen USA und Türkei

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Im Konflikt zwischen Ankara und Washington um den festgehaltenen amerikanischen Pastor Andrew Brunson will sich die Türkei um einen Dialog bemühen. Eine konkrete Lösung ist jedoch vorerst nicht in Sicht.

Nach einem Gespräch mit seinem US-Amtskollegen Mike Pompeo sagte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu das Treffen sei äusserst konstruktiv verlaufen. «Wenn wir zurück in unseren Ländern sind, werden wir weiterhin gemeinsame Schritte setzen, um diese Probleme zu lösen und werden weiterhin zusammenarbeiten», sagte Cavusoglu. Er habe im Gespräch deutlich gemacht, dass man mit drohender Sprache und Sanktionen nichts erreichen kann.

Das Gespräch fand am Rande des Asean-Regionalforums in Singapur statt. Vor dem Treffen hatten Cavusoglu und Pompeo miteinander telefoniert.

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