Zum Inhalt springen

Bildungssystem Südkorea Lehrpersonen demonstrieren gegen Machtlosigkeit in Südkorea

Aus nichtigen Gründen wird Lehrerinnen und Lehrern Kindesmisshandlung vorgeworfen. Jetzt wehren sich die Lehrkräfte.

Worum geht es? In Südkorea gingen am vergangenen Montag über 100'000 Lehrpersonen auf die Strasse. Sie streikten für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Rechte. «Sie fordern, dass sie das Recht auf Unterricht wiederbekommen und es ausüben dürfen», sagt Martin Fritz, Journalist für SRF in Seoul. Der Grund: Lehrpersonen in Südkorea sind gegenüber Vorwürfen von Eltern fast machtlos.

Suizide von Lehrkräften in Südkorea: In den vergangenen fünf Jahren gab es 100 Suizide von Lehrpersonen. Einer der letzten Fälle ereignete sich im Juli 2023, als sich eine Primarlehrerin das Leben nahm. Sie war 23 Jahre alt. Auch ihr sei Fehlverhalten gegenüber Kindern vorgeworfen worden, berichtete die ARD. Seit ihrem Suizid haben Lehrerinnen und Lehrer jedes Wochenende Mahnwachen und Demonstrationen im ganzen Land abgehalten.

eine grosse Gruppe schwarz gekleideter Menschen mit weissen Kragen, die Schilder hochhalten
Legende: Nach dem Suizid einer jungen Lehrerin im Juli 2023 halten ihre Kolleginnen und Kollegen jedes Wochenende Mahnwachen ab. Reuters/ KIM HONG-JI

Vorwurf der Kindesmisshandlung ohne Belege: Wie Martin Fritz erläutert, gibt es in Südkorea seit 2014 ein Gesetz, das es jedem Bürger und jeder Bürgerin erlaubt, jemandem Misshandlung von Kindern vorzuwerfen, ohne es belegen zu müssen. «Viele Eltern nutzen dieses Gesetz gegen die Lehrer, wenn diese ihr Kind in der Schule disziplinieren», sagt Fritz. Der beschuldigte Lehrer werde suspendiert und es werde eine Untersuchung eingeleitet. Diese Untersuchung könne Monate dauern; in der Zwischenzeit müssten andere Lehrer den Unterricht übernehmen.

Ein Beispiel für emotionale Kindsmisshandlung

Box aufklappen Box zuklappen

Journalist Martin Fritz berichtet: Wenn Lehrpersonen in der Klasse laut werden, etwa, um Gewalt oder Mobbing zu beenden, können die Eltern ihnen emotionale Misshandlung vorwerfen. Solche Fälle habe es tatsächlich gegeben. Auch dann komme es zu einer Untersuchung.

Hintergrund dieser Gesetzesänderung: Ursprünglich sei dieses Gesetz ein Teil mehrerer Massnahmen gewesen, um die Schule und das Lernen in Südkorea menschlicher zu machen. Damals seien auch die Regeln für Schuluniformen und die Vorschriften, welche Haarfarbe die Kinder haben sollten, entschärft worden, sagt Fritz. «Manche Schulen schrieben gar die Farbe der Unterwäsche vor.»

Extremer Leistungsdruck: Schon ab der siebten Klasse müssen sich südkoreanische Jugendliche auf die Aufnahmeprüfung an den Universitäten vorbereiten. «Davon hängt ihre ganze Karriere, ihr ganzer späterer Lebensweg ab. Dafür lernen sie rund um die Uhr», sagt Fritz.

Gegen Mobbing und Gewalttaten unter Schülerinnen und Schülern haben die Lehrkräfte keine Handhabe.
Autor: Martin Fritz Journalist in Südkorea

Dieser Druck werde auch von den Eltern verstärkt. Mobbing und Gewalttaten der Schülerinnen und Schüler untereinander ist häufig ein Ventil. «Dagegen haben die Lehrpersonen keine Handhabe», sagt Fritz.

Reaktion der Politik: Die Massenstreiks und Demonstrationen sind vomm südkoreanischen Bildungsministerium als illegale kollektive Aktionen beurteilt worden, die das Recht der zu Unterrichtenden auf Bildung beeinträchtige. «Doch das Problembewusstsein ist da, man weiss im Ministerium, dass sich etwas ändern muss», so Fritz. Das Ministerium habe ein Gesetz zur Wiederherstellung und Stärkung der Unterrichtsrechte der Lehrpersonen erarbeitet. Es müsse nur vom Parlament verabschiedet werden. Damit hätten Lehrkräfte wieder mehr Möglichkeiten zur Disziplinierung der Schülerinnen und Schüler – ohne dass man ihnen gleich Misshandlung vorwerfen kann. Doch die Lehrerinnen und Lehrer sind nicht zufrieden damit. Sie wollen, dass die Sonderregelungen zur Bestrafung von Kindesmisshandlung in das Gesetz aufgenommen werden.

Gegen Gewalt unter Schülerinnen und Schülern: Die Regierung will auch gegen die Gewalt unter Schülerinnen und Schülern vorgehen; sie will, dass Mobbing-Akten bei Bewerbungen an den Universitäten berücksichtigt werden. Dies wird allerdings erst ab 2026 der Fall sein.

Echo der Zeit, 06.09.2023, 18 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel