Israels Premier Benjamin Netanjahu ist wohl einer der umstrittensten Politiker unserer Zeit. Vielen ist er verhasst, etwa wegen seines Vorgehens im Gazakrieg, aber auch wegen seiner innenpolitischen Positionen. Von anderen wird «Bibi» glühend verehrt. Einblicke gibt der Historiker Joseph Croitoru in der ersten deutschsprachigen Biografie über den heute 76-Jährigen, der bereits in den 1990er-Jahren das erste Mal an der Macht war.
SRF News: Was macht Benjamin Netanjahu als Person aus, wie funktioniert er?
Joseph Croitoru: Benjamin Netanjahu ist im Grunde ganz einfach gestrickt. Schon als junger Mann im Elternhaus verinnerlichte er die Ideologie seines Vaters, eines rechtsgerichteten Zionisten. Er fixierte sich ideologisch in seiner Zeit als Student in den USA und Israel. Letztendlich konzentriert sich alles darauf, das 1967 von den Israelis eroberte und besetzte Gebiet vor allem im Westjordanland unbedingt zu behalten und nicht an die Palästinenser zurückzugeben. Er begründet das mit einer sonst bestehenden existenziellen Gefahr für den Staat Israel. In späteren Jahren kam der Iran als grosses Feindbild dazu. Das ist die Ideologie von Netanjahu, die er in ganz verschiedenen Variationen über die Zeiten der jeweiligen politischen Grosswetterlage und globalen Situation anpasst.
Seine Karriere begann als israelischer UNO-Botschafter in New York. Wie hat ihn die Nähe zu den USA beeinflusst?
Das hat Netanjahu von Anfang an geprägt. Er war als junger Mann auch Amerikaner und ist in beiden Ländern sozialisiert worden. Er kennt die politischen Kulturen beider Länder, spricht perfekt Englisch und Hebräisch und kann sein rhetorisches Talent gezielt bei den jeweiligen Gruppen in den USA oder Israel einsetzen.
Wie übersetzt sich das in konkrete Politik?
Netanjahu hat schon als junger Mann begriffen, dass er die dauerhafte Besetzung der Palästinensergebiete nur mit der Zustimmung der US-Regierung durchsetzen kann. Deshalb baute er von Anfang an seine Beziehungsnetze in die politische Elite der USA auf. Es sind vor allem konservative und neokonservative politische Kreise, die er immer wieder mobilisiert, wenn die US-Politik nicht in seinem Sinne ist.
Das geht bis zu einem Personenkult, wo er ‹Bibi, König von Israel› genannt wird.
Was lässt die Unterstützerinnen und Unterstützer so bedingungslos zu Netanjahu halten?
Da ist die Position, auf keinen Fall zu den Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 zurückzukehren. Diese Einstellung teilen viele Israelis. Seine feste Wählerschaft macht ungefähr ein Drittel der Israelis aus und sie glaubt fest daran. Dazu kommen Bewunderer Netanjahus inner- und ausserhalb der Partei. Sie sehen ihn als ein besonderes Kaliber, auch wegen des Umstands, dass er sich gut in Israel und Amerika orientieren kann. Das geht bis zu einem Personenkult, wo er «Bibi, König von Israel» genannt wird.
Ändern die Korruptionsvorwürfe rund um seine Person daran nichts?
Im Gegenteil. Bereits in den 1990er-Jahren fing Netanjahu damit an, sich als Opfer der israelischen Mainstream-Medien darzustellen. Er stellte sich mit den Jahren zunehmend als Verfolgter der linken Medien in Israel dar. Er gibt Interviews nur bestimmten, ihm gewogenen TV-Sendern und ist medial trotzdem extrem präsent. Ein Ende der Ära Netanjahu sehe ich nicht, solange er gesund bleibt. Er dürfte die Wahlen im nächsten Jahr gewinnen. Ob er auch eine Koalition bilden kann, ist die einzige Frage.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.