Zum Inhalt springen

Proteste in Israel «Der Druck auf der Strasse ist für Netanjahu gewachsen»

In Israel gehen seit Sonntag Hunderttausende Menschen auf die Strasse, um gegen die Kriegspläne der Regierung im Gazastreifen zu protestieren. Es soll eine der grössten Solidaritätskundgebungen in Israel sein – seit Beginn des Krieges in Gaza im Oktober 2023. Was die Proteste bewirken, weiss Vera Weidenbach, freie Journalistin in Tel Aviv.

Vera Weidenbach

Journalistin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Vera Weidenbach (1990) studierte Philosophie, Biologie und Politikwissenschaften und besuchte die Deutsche Journalistenschule. Sie war im ARD-Hauptstadtstudio tätig und macht eigene Podcasts und berichtet als freie Journalistin für die israelische Zeitung «Haaretz» aus Tel Aviv.

SRF News: Es heisst, das Land solle mit den Streiks zum Stillstand gebracht werden. Wo waren die Streiks effektiv spürbar?

Vera Weidenbach: Am meisten haben es die Menschen auf den Strassen zu spüren bekommen. Die Demonstranten haben mehrere grosse Autobahnen blockiert, vor allem auf der Hauptverbindung zwischen Tel Aviv und Jerusalem. In Jerusalem hat die Polizei Wasserwerfer gegen die Proteste eingesetzt. Insgesamt wurden über 30 Menschen verhaftet.

In den Städten waren viele Cafés und Restaurants geschlossen. Und auch einige Unternehmen, die sich dem Streik angeschlossen haben. Es war ein Tag, der sehr eindeutig im Zeichen eines Themas stand, nämlich dem Schicksal der 50 Geiseln, die noch immer von der Hamas in Gaza festgehalten werden.

Weshalb sind die Proteste in Israel wieder grösser geworden?

In den vergangenen drei Wochen gab es viele Proteste. Das hatte zum einen mit der humanitären Situation in Gaza zu tun. Vor allem in arabischen Städten hat dies für Proteste gesorgt. Man vergisst immer gerne, dass 20 Prozent der israelischen Bevölkerung arabische Israelis sind.

Diese Videos haben die Menschen noch einmal bestürzt und wachgerüttelt.

Vor zwei Wochen hat die Hamas einige Videos von den Geiseln veröffentlicht. Das Video von Evyatar David, der nur noch aus Haut und Knochen besteht und gezwungen wurde, sich sein eigenes Grab zu schaufeln, ging um die Welt.

Netanjahu hat den Protestierenden vorgeworfen, sie seien auf der Seite der Hamas.

Diese Videos haben die Menschen noch einmal bestürzt, wachgerüttelt und ihnen vor Augen geführt, dass die Zeit für die Geiseln wirklich wegläuft.

Wie reagiert die israelische Regierung auf diese Protestaktion?

Es kamen harsche Worte von der israelischen Regierung. Benjamin Netanjahu und einer der rechtsextremen Minister in seinem Kabinett haben den Protestierenden vorgeworfen, sie seien auf der Seite der Hamas und die Proteste würden vor allem der Hamas nutzen. Der israelische Premierminister hat behauptet, dass die Proteste die Position der Hamas in den Verhandlungen stärken würde. Diese rhetorische Steigerung kommt daher, dass die Proteste nochmals intensiver geworden sind.

Wird die Regierung also nicht einlenken und die angekündigte Offensive in Gaza durchziehen?

Vor dem 7. Oktober hat sich Netanjahu nicht von den Protesten gegen seine sogenannte Justizreform beeindrucken lassen. Da sind auch schon regelmässig Hunderttausende Menschen auf die Strasse gegangen. Derzeit wird die Offensive in Gaza und die Ausweitung des Krieges weiter vorbereitet. In einem Interview hat Netanjahu kürzlich gesagt: «Ja, es gehen Menschen auf die Strasse, aber das sind nicht meine Wähler». Er scheint sich bisher seiner Sache also sehr sicher zu sein.

Der Zwang für Netanjahu, dass seine Regierung platzen würde, wenn er den Krieg beenden würde, scheint bis jetzt stärker zu sein als der öffentliche Druck.

Warum haben diese Proteste keinen Einfluss auf Netanjahu?

Der israelische Premierminister ist in der Situation, dass er die rechtsextremen Minister in seinem Kabinett hat. Diese haben bisher immer Druck auf ihn ausgeübt, den Krieg nicht zu beenden und keinen Deal mit der Hamas zu machen. An dieser innenpolitischen Situation hat sich für Netanjahu nichts geändert. Der Druck auf der Strasse ist jetzt gewachsen. Aber der Zwang für Netanjahu, dass seine Regierung platzen würde, wenn er den Krieg beenden würde, scheint bis jetzt stärker zu sein als der öffentliche Druck.

Das Gespräch führte Susanne Stöckl.

Diskutieren Sie mit:

Heute Morgen, 18.08.2025, 8 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel