Jabal al-Druz, das Drusengebirge, liegt eine gute Stunde Autofahrt südlich von Damaskus. Olivenhaine und vulkanisches Gestein prägen das Siedlungsgebiet der Drusen, einer kleinen Religionsgemeinschaft, die unter anderem an Reinkarnation glaubt.
Von hier aus führten Drusen vor hundert Jahren eine Revolte gegen die damalige französische Kolonialherrschaft an. Diese hatte die Minderheiten – Drusen, Alawiten, Christen – in eine Art Ministaaten aufgeteilt. Nach dem Motto teile und herrsche.
Doch diese Ministaaten waren wirtschaftlich nicht überlebensfähig. Der Aufstand, bekannt als grosse syrische Revolte, erfasste weitere Gebiete. Er markierte auch die Geburtsstunde des syrischen Zentralstaats. Die Drusen reden noch heute voller Stolz davon. Doch jetzt wenden sich ausgerechnet hier viele Menschen vom syrischen Zentralstaat ab.
Grosse Vorbehalte gegen die Regierung
Rundgang auf einer Einkaufsstrasse im Zentrum von Sweidah, der Hauptstadt der Provinz im Drusengebirge.
Kholoud, eine Frau Mitte Dreissig mit blonden Locken, die kleine Tochter an der Hand, sagt: «Die Massaker an Alawiten vergangenen Monat sind ein Wendepunkt. Eine Zusammenarbeit mit der neuen Regierung in Damaskus ist jetzt undenkbar.»
Rama, eine Studentin, die mit ihrer Freundin unterwegs ist, sagt: «Ich habe seither mehr Angst, dass wir von einem Tag auf den anderen nicht mehr sicher sind.»
Wo die Israelis hinkommen, bringen sie Feuer und Tod.
Israel hat verkündet, es sei bereit, die Drusen zu verteidigen. Es geht vor allem um Interessenspolitik. Die Regierung von Benjamin Netanjahu möchte sich laut israelischen Medienberichten für eine Aufspaltung Syriens in eine Art ethno-religiöse Kantone einsetzen. Wie einst die französische Kolonialmacht.
Israel mischt auch mit
Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat Israels Armee am syrischen Golan noch mehr Land besetzt und im ganzen Land Militärausrüstung zerstört. In Jerusalem scheint man der Ansicht, dass ein schwaches, gespaltenes Syrien von Vorteil wäre.
Israels Aussagen setzen Damaskus zwar unter Druck – doch es sorgt so auch für böses Blut.
In Sweidah spaltet das die Menschen. «Was die Israelis sagen, ist reine Heuchelei, wo sie hinkommen, bringen sie Feuer und Tod», sagt Abu Monzer, ein Passant Mitte Fünfzig. Anders denkt Mahiye, eine ältere Frau: «Israel ist besser als unsere jetzige Regierung. Wenn sie uns schützen, ist das nicht verkehrt.»
Und Rudaina, eine Frau Mitte Dreissig, wägt ab: «Israels Aussagen setzen Damaskus zwar unter Druck, das hat schon eine schützende Wirkung. Aber gleichzeitig sorgt Israel so für böses Blut. Viele denken jetzt, wir Drusen seien alle aufseiten Israels.»
Wieder andere blicken auf die Lebensqualität in Israel, und sagen, in Syrien sei die Wirtschaft ruiniert. Wer helfen könne, sei willkommen.
Grosse Nervosität
Auf einem der Hügel von Sweidah liegt das Anwesen von Scheich Hikmat al-Hadschari, dem wichtigsten spirituellen Anführer der Drusen in Syrien.
Ins Mikrofon sprechen will er zwar nicht. Doch aus der kurzen Unterhaltung mit ihm wird klar, dass der Scheich der neuen Regierung in Damaskus nicht traut. Er hält sich alle Optionen offen.
Die Nervosität in Sweidah ist in allen Gesprächen bereits vor den jüngsten Zusammenstössen spürbar. Die Drusinnen und Drusen möchten keine Einmischung, suchen aber dennoch Schutz.
Man möchte zu Syrien gehören, aber manche denken über Föderalismus und Formen der Selbstverwaltung nach. Für andere sind das Reizwörter, unter deren Deckmantel Syrien gespalten werden soll.