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Blutige Unruhen in Syrien Die Drusen in Syrien leben in Unsicherheit

Viele Angehörige der drusischen Minderheit trauen der neuen Regierung in Damaskus nicht. Und dann ist da noch Israel, das sich einmischt.

Jabal al-Druz, das Drusengebirge, liegt eine gute Stunde Autofahrt südlich von Damaskus. Olivenhaine und vulkanisches Gestein prägen das Siedlungsgebiet der Drusen, einer kleinen Religionsgemeinschaft, die unter anderem an Reinkarnation glaubt.

Von hier aus führten Drusen vor hundert Jahren eine Revolte gegen die damalige französische Kolonialherrschaft an. Diese hatte die Minderheiten – Drusen, Alawiten, Christen – in eine Art Ministaaten aufgeteilt. Nach dem Motto teile und herrsche.

Dutzende Tote bei Kämpfen diese Woche

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Drei bewaffnete Männer rennen auf einer Strasse.
Legende: Keystone/ Omar Albam

Seit Tagen kommt es in Syrien immer wieder zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen, regierungsnahen Milizen und drusischen Bewaffneten. Dabei kamen nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seit Anfang Woche an verschiedenen Orten mindestens 73 Personen ums Leben. Auslöser der Gewalt soll eine Tonaufnahme gewesen sein, die den Propheten Mohammed beleidigt haben soll. Sie wurde zunächst einem Drusen zugeschrieben. Das Innenministerium in Damaskus erklärte jedoch, die beschuldigte Person stehe nicht mit der Aufnahme in Verbindung.

Israel hat mit Drohnen interveniert und nach eigenen Angaben einen Extremisten getötet, der Drusen angegriffen hatte. Aus Regierungskreisen hiess es, es habe sich um ein Mitglied der neuen Sicherheitskräfte gehandelt, die eingeschritten seien, um die Zusammenstösse zu beenden. Die Angreifer seien «Banditen, die nichts mit dem Staat zu tun hätten».

Die erneute Gewaltwelle stellt die syrische Regierung auf die Probe und zeigt, wie zerbrechlich die tief gespaltene Gesellschaft in Syrien nach Jahren des Bürgerkriegs und nach 50 Jahrzehnten Assad-Herrschaft ist. Denn das Haus Assad sicherte seine Macht auch dadurch ab, indem es die verschiedenen Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielte. Die Gefahr weiterer Konflikte bleibt hoch. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, das Land zu einen. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass viele Milizen weiter auf eigene Faust handeln.

Die Drusen sind eine religiöse Minderheit, die heute vor allem in Syrien, im Libanon, Israel und Jordanien angesiedelt ist. Die Religionsgemeinschaft ist im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen. Ein Teil der Drusen steht der neuen, von Islamisten geführten Führung in Damaskus kritisch gegenüber. Andere kooperieren bereits mit der neuen Regierung. (bol/sda)

Doch diese Ministaaten waren wirtschaftlich nicht überlebensfähig. Der Aufstand, bekannt als grosse syrische Revolte, erfasste weitere Gebiete. Er markierte auch die Geburtsstunde des syrischen Zentralstaats. Die Drusen reden noch heute voller Stolz davon. Doch jetzt wenden sich ausgerechnet hier viele Menschen vom syrischen Zentralstaat ab.

Grosse Vorbehalte gegen die Regierung

Rundgang auf einer Einkaufsstrasse im Zentrum von Sweidah, der Hauptstadt der Provinz im Drusengebirge.

Kholoud, eine Frau Mitte Dreissig mit blonden Locken, die kleine Tochter an der Hand, sagt: «Die Massaker an Alawiten vergangenen Monat sind ein Wendepunkt. Eine Zusammenarbeit mit der neuen Regierung in Damaskus ist jetzt undenkbar.»

Rama, eine Studentin, die mit ihrer Freundin unterwegs ist, sagt: «Ich habe seither mehr Angst, dass wir von einem Tag auf den anderen nicht mehr sicher sind.»

Wo die Israelis hinkommen, bringen sie Feuer und Tod.
Autor: Abu Monzer Ein Passant in Sweidah, Mitte Fünfzig.

Israel hat verkündet, es sei bereit, die Drusen zu verteidigen. Es geht vor allem um Interessenspolitik. Die Regierung von Benjamin Netanjahu möchte sich laut israelischen Medienberichten für eine Aufspaltung Syriens in eine Art ethno-religiöse Kantone einsetzen. Wie einst die französische Kolonialmacht.

Israel mischt auch mit

Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat Israels Armee am syrischen Golan noch mehr Land besetzt und im ganzen Land Militärausrüstung zerstört. In Jerusalem scheint man der Ansicht, dass ein schwaches, gespaltenes Syrien von Vorteil wäre.

Israels Aussagen setzen Damaskus zwar unter Druck – doch es sorgt so auch für böses Blut.
Autor: Rudaina Passantin in Sweidah, Mitte Dreissig

In Sweidah spaltet das die Menschen. «Was die Israelis sagen, ist reine Heuchelei, wo sie hinkommen, bringen sie Feuer und Tod», sagt Abu Monzer, ein Passant Mitte Fünfzig. Anders denkt Mahiye, eine ältere Frau: «Israel ist besser als unsere jetzige Regierung. Wenn sie uns schützen, ist das nicht verkehrt.»

Und Rudaina, eine Frau Mitte Dreissig, wägt ab: «Israels Aussagen setzen Damaskus zwar unter Druck, das hat schon eine schützende Wirkung. Aber gleichzeitig sorgt Israel so für böses Blut. Viele denken jetzt, wir Drusen seien alle aufseiten Israels.»

Wieder andere blicken auf die Lebensqualität in Israel, und sagen, in Syrien sei die Wirtschaft ruiniert. Wer helfen könne, sei willkommen.

Grosse Nervosität

Auf einem der Hügel von Sweidah liegt das Anwesen von Scheich Hikmat al-Hadschari, dem wichtigsten spirituellen Anführer der Drusen in Syrien.

Mann mit schwarzer Kleidung und weissem Hut in einem Raum mit gelben Wänden.
Legende: Scheich Hikmat al-Hadschari will sich alle Optionen offen lassen. SRF/Monika Bolliger

Ins Mikrofon sprechen will er zwar nicht. Doch aus der kurzen Unterhaltung mit ihm wird klar, dass der Scheich der neuen Regierung in Damaskus nicht traut. Er hält sich alle Optionen offen.

Die Nervosität in Sweidah ist in allen Gesprächen bereits vor den jüngsten Zusammenstössen spürbar. Die Drusinnen und Drusen möchten keine Einmischung, suchen aber dennoch Schutz.

Man möchte zu Syrien gehören, aber manche denken über Föderalismus und Formen der Selbstverwaltung nach. Für andere sind das Reizwörter, unter deren Deckmantel Syrien gespalten werden soll.

Echo der Zeit, 1.5.2025, 18:00 Uhr

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