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Britische Linke in der Krise «Labour-Regierung frühestens in zehn Jahren»

Die britischen Sozialdemokraten haben bei den Wahlen letzte Woche die schwerste Niederlage seit Jahrzehnten eingefahren. Parteichef Jeremy Corbyn hat sich zwar inzwischen bei den Wählerinnen und Wählern für das Resultat entschuldigt, zurückgetreten ist er aber noch nicht. Ein plötzliches Vakuum an der Parteispitze habe in der Vergangenheit auch schon zu Problemen geführt, sagt Grossbritannien-Korrespondent Martin Alioth.

Martin Alioth

Ehemaliger Grossbritannien- und Irland-Korrespondent, SRF

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Der ehemalige Grossbritannien- und Irland-Korrespondent von Radio SRF lebt seit 1984 in Irland. Er hat in Basel und Salzburg Geschichte und Wirtschaft studiert.

SRF News: Warum klammert sich Corbyn trotz der Niederlage an sein Amt?

Martin Alioth: Er hat einen ordentlichen Rücktritt angekündigt, aber nicht per sofort. Seine Begründung: Er werde Kontinuität im Übergang bieten und als eine Art neutraler Vorsitzender über die Wahl seines Nachfolgers wachen.

Wäre es für Labour nicht besser gewesen, er wäre gleich zurückgetreten?

Dazu sind die Meinungen geteilt, denn es gibt auch Präzedenzfälle, bei denen das nachteilige Folgen hatte. Man denke an Ed Miliband, der 2015 abrupt zurücktrat. Oder an David Cameron, der nach verlorenem Brexit-Referendum sogleich die Badehose anzog und in die Ferien ging. Es ist nicht immer ideal, wenn ein Vakuum an der Spitze entsteht.

Im Wahlkampf war den Kritikern – abgesehen von der Person Corbyn – das Programm zu links.

Aber die Vorstellung, dass Corbyn noch bis Ende März – das ist etwa der Zeitrahmen, von dem man ausgeht, bis ein Nachfolger im Amt ist – einmal pro Woche die Fragestunde mit Premierminister Boris Johnson bestreitet, ist etwas absurd.

Corbyn ist äusserst unbeliebt, gerade in der Arbeiterschicht im Norden. Sendet es nicht falsche Signale, wenn er mitmischt bei seiner Nachfolge?

Ja. Die Befürchtung wird dadurch genährt, dass Corbyn und seine Berater, seine Gewerkschaftsfreunde und gleichgesinnte Politiker den Labour-Apparat restlos kontrollieren. Das verursacht natürlich etwas Bauchgrimmen, wenn es um die Nachfolge geht. In der Labour-Partei gibt es schon lange einen Graben zwischen den linken Corbyn-Anhängern und seinen gemässigten Gegnern.

Wird der neue Chef, die neue Chefin wieder aus dem Corbyn-Lager sein?

Das Problem ist die riesige Anzahl Parteimitglieder. Eine Mehrheit war unzweifelhaft auf Corbyns Seite und neigt in seine politische Richtung.

Und sie wählen letztlich den Nachfolger. Sie haben bisher auf die Person fokussiert. Die nächsten Wochen werden eine Diskussion darüber bringen, ob man nicht lieber über das Programm reden sollte. Denn im Wahlkampf war den Kritikern – abgesehen von der Person Corbyn – das Programm zu links.

Gibt es Kandidierende, die die Parteileitung übernehmen möchten?

Ja. Die Favoritin ist Rebecca Long-Bailey, eine treue Gefolgsfrau von Corbyn – in meinen Augen ist sie zu sehr Funktionärin und zu wenig kreative Politikerin.

Long-Bailey und Corbyn
Legende: Rebecca Long-Bailey gilt als Favoritin, wenn es um die Nachfolge Corbyns (rechts) geht. Reuters

Aus Tony Blairs Zeiten gibt es sehr kompetente Politikerinnen und Politiker wie Yvette Cooper und Hilary Benn, die sich in den Vorsitz von Unterhausausschüssen geflüchtet haben, um nicht unter Corbyn dienen zu müssen. Eine ideale Kandidatin sollte meiner Meinung nach eine junge, authentische Frau aus dem Norden sein, wo Labour die Bodenhaftung verloren hat; eine Frau wie Jess Phillips oder eine Frau wie Lisa Nandy.

Die Rolle der Oppositionspartei dürfte Labour eine Weile behalten.

Wir können aufgrund des Ausmasses der Niederlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Labour-Partei bestenfalls darauf hoffen kann, bei der nächsten Parlamentswahl in fünf Jahren ihren Rückstand zu verringern. Und dass die früheste Möglichkeit, eine Regierung zu bilden, in zehn Jahren ist. Das ist eine lange Durststrecke.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

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