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Caffè nur mit Karte? Warum Bargeldzahlungen in Italien ein Problem sind

Nicht nur der Espresso an der Bar, auch beim Schuhmacher oder beim Gemüsehändler wird in Italien mit Bargeld bezahlt, oft ohne Quittung. Das heisst, viele versteuern einen Teil dieser Einnahmen nicht und der Staat kann keine Steuern eintreiben. ARD-Korrespondent Jörg Seisselberg erklärt das Problem.

Jörg Seisselberg

ARD-Korrespondent

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Jörg Seisselberg ist ARD-Korrespondent in Rom. Er studierte Italianistik und Politikwissenschaft in Bologna.

SRF News: In Italien diskutiert die Politik derzeit, ob der Kaffee mit Bargeld oder mit Karte bezahlt werden kann. Wer hat in dieser Debatte derzeit die Oberhand?

Jörg Seisselberg: In Italien ist in den vergangenen Wochen heftig gestritten worden. Nach aktuellem Stand hat sich kurz vor den abschliessenden Beratungen im Parlament die Gruppe der Befürworter der Kartenzahlungen durchgesetzt. Ursprünglich wollte die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mehr Bargeldzahlungen zulassen und die Pflicht für Geschäftsleute kippen, dass alles mit Karte bezahlt werden darf.

Kartenzahlungen sind vielen kleinen Geschäftsleuten nicht sympathisch, weil sie elektronisch nachvollziehbar sind.

Es sollte eine Grenze geben, dass die Barbesitzer, Schuhmacher, Gemüsehändler und Freiberufler generell erst ab 60 Euro Kartenzahlungen akzeptieren müssen. Das war der ursprüngliche Vorschlag der Regierung aus den aktuellen Vorschlägen. Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Parlament sind diese Vorschläge aber verschwunden.

Warum sind Kartenzahlungen so verpönt?

Kartenzahlungen sind vielen kleinen Geschäftsleuten nicht sympathisch, weil sie elektronisch nachvollziehbar sind.

Experten gehen davon aus, dass dem Land jährlich 100 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung verloren geht.

Das Finanzamt schaut bei jeder Kartenzahlung hin und ist damit ein Garant gegen Steuerhinterziehung, die in Italien im europäischen Vergleich sehr hoch ist. Experten gehen davon aus, dass dem Land jährlich 100 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung verloren gehen.

Ein Kellner bedient Kunden in einem Restaurant in der Innenstadt von Rom.
Legende: Ein Kellner bedient Kunden in einem Restaurant in der Innenstadt von Rom. Keystone/AP Photo/Gregorio Borgia

Das ist eine gewaltige Summe und ein ebenso grosses Problem für Italien. Deswegen drängt die Europäische Union seit Jahren darauf, dass Italien dieses Problem angeht.

Die Regelung, dass Geschäftstreibende Kartenzahlungen bis 60 Euro ausschlagen dürfen, war das Wahlversprechen der neuen Regierungschefin Georgia Meloni. Warum hat sie nun eine Kehrtwende gemacht?

Jedes EU-Land muss den Haushalt in Brüssel vorlegen und bei Italien wird aufgrund der hohen Schulden immer ganz besonders hingeschaut. Die Kommission in Brüssel hat die italienische Regierung wegen der geplanten Einführung der 60 Euro Grenze kritisiert. Brüssel hat Druck gemacht und Rom musste reagieren.

Doch Meloni hat den kleinen Geschäftsleuten versprochen, ihnen auf anderem Weg zu helfen. Denn bei diesen Zahlungen geht immer eine gewisse Summe als Kommission an die Banken – und das geht den Geschäftsleuten und Freiberuflern als Einnahmen verloren. Nun will die Regierung eine Regelung schaffen, dass künftig zumindest gewisse Kommissionen für bestimmte Betriebe zurückerstattet werden müssen.

Das wichtige Wählerpotenzial der kleinen Geschäftsleute

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«Die kleinen Geschäftsleute sind in Italien ein wichtiges Wählerpotenzial», erklärt Seisselberg und verweist auf Zahlen. «20 Prozent der erwerbstätigen Menschen in Italien sind Selbstständige, viele kleine Selbstständige ohne Angestellte.» Das sei zusammen mit Griechenland mit Abstand die höchste Anzahl Selbstständiger in der Europäischen Union.

«Das heisst theoretisch: Jede fünfte Wählerin, jeder fünfte Wähler in Italien ist eine kleine Geschäftsfrau oder ein kleiner Geschäftsmann», sagt Seisselberg. Laut Wahluntersuchungen gehöre ein grosser Teil dieser Selbstständigen zur Wählerklientel der Rechtsparteien und hat Giorgia Meloni gewählt –  in der Hoffnung, dass sie eine Politik macht, die ihnen sympathisch ist, so Seisselberg.

Ausserdem hat die Regierung Melonis die Obergrenze für Barzahlungen für nächstes Jahr auf 5000 Euro erhöht. Ursprünglich hätte die Grenze auf 1000 Euro sinken sollen, nachdem die Regierung Draghis die aktuell geltende 2000 Euro Grenze eingeführt hatte. Das ist zumindest ein kleines Bonbon für die Bargeldfans unter den kleinen Geschäftsleuten.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

SRF 4 News, 21.12.2022, 7:45 Uhr ; 

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