Zum Inhalt springen

«Carbon Storage» Noch ist die Einlagerung von CO₂ auf den Shetlands Zukunftsmusik

Immerhin: Auf den Shetlandinseln gibt es bereits Firmen, die über Lizenzen verfügen. Ein Augenschein.

Sullom Voe im Norden von Shetland ist eine idyllische Meeresbucht, aber kein harmloser Ort. Wer als Besucher ausgerüstet mit Brandschutzjacke und Helm das Ölterminal der Firma Enquest betritt, wird zuerst akustisch instruiert, wie es tönt, wenn es hier schiefläuft.

Zwischen Kühlaggregaten, Pipelines und zischenden Ventilen empfängt der leitende Ingenieur den Besucher. «Mein Name ist Fraser Roger, ich bin der Terminal Manager. Sullom Voe ist ein Industriekomplex mit einer Fläche von rund vier Quadratkilometern.»

«Carbon Storage» – CO₂ tief im Boden einlagern

Box aufklappen Box zuklappen
Fraser roger mit Helm.
Legende: Fraser Roger, Terminal Manager in Sullom Voe. SRF/Patrik Wülser

Im Kampf gegen die Klimaerwärmung gibt es auch Pläne, CO₂ ins Erdinnere zu pumpen, dort zu speichern und damit aus dem Kohlenstoff-Kreislauf auf der Erde herauszunehmen. Diese Technologie heisst «Carbon Storage». Selbst der Bundesrat möchte CO₂ aus der Schweiz auf diese Weise in der Nordsee entsorgen.

Erste Projekte für die Methode gibt es im Norden Grossbritanniens, auf den Shetlandinseln. Dort verfügt Enquest als eine der ersten Firmen im Vereinigten Königreich über eine Lizenz für «Carbon Storage». Mit der Technologie wird CO₂ aus der Luft gefiltert, komprimiert, verflüssigt und ins Erdinnere gepumpt.

Am liebsten möchte man dabei das CO₂ dort einfangen, wo es in grossen Mengen entsteht und nicht vermeidbar ist – etwa in der Zement- oder Stahlindustrie. Mit Tankschiffen soll es dereinst auf die Shetlands gebracht und in die leeren Ölkavernen unter dem Meeresgrund gepumpt werden. Doch bis es so weit ist, gilt es noch einige Hürden zu nehmen.

Man lagere und exportiere Gas und Erdöl von den Förderplattformen in der Nordsee rund um Shetland. «Von hier aus wird das Öl verschifft.»

Goldene Zeiten seit den 1970er-Jahren

Seitdem vor rund 50 Jahren in der Nordsee Öl entdeckt wurde, entwickelte sich Sullom Voe zum grössten Ölterminal Europas. Es machte die Shetlandinseln reich: Nirgends im Vereinigten Königreich haben die Strassen so wenige Schlaglöcher wie auf den Shetlands. Das «flüssige Gold» wurde viel wichtiger als Fisch, Schafe und Ponys.

Doch jetzt ist das Ende des fossilen Zeitalters absehbar. Aus diesem Grund möchte der Nachhaltigkeitsmanager von Enquest, Salman Malik, lieber über die grüne Zukunft sprechen als über die ölige Vergangenheit.

«Unser ursprüngliches Geschäft ist die Förderung von Öl und Gas. Aber seit einigen Jahren sind wir im Übergang zu einer grünen Industrie», erklärt er.

Während Jahrzehnten habe man hier in der Nordsee Öl und Gas aus dem Meeresgrund gepumpt. Doch: «Jetzt wollen wir die Ölplattformen für den umgekehrten Prozess nutzen – um CO₂ in die Tiefe zu pressen und unter dem Meeresgrund einzulagern.»

Grafik mit dem Projekt.
Legende: Noch ist die Einlagerung von CO₂ vor den Shetlands Zukunftsmusik. Doch das Projekt wird stetig vorangetrieben. SRF/Patrik Wülser

Das sei im Moment zwar noch eine Vision, sagt Malik. Entsprechend würden derzeit noch alle Einnahmen mit der Förderung von Öl und Gas erzielt.

Einlagerung ab etwa 2030

Rein technisch allerdings wäre es bereits heute möglich, CO₂ in die Tiefe zu pumpen. Trotzdem geht Malik nicht davon aus, dass CO₂ auf den Shetlands vor 2030 eingelagert wird. So grün wie die Fototapete im Sitzungszimmer ist das Geschäft also noch nicht.

Einigermassen realistisches Szenario

Box aufklappen Box zuklappen

Dass dereinst CO₂ aus der Schweiz tief unter die Nordsee gepumpt wird, sei «grundsätzlich sinnvoll», sagt SRF-Energiespezialist Klaus Ammann. Berechnungen hätten ergeben, dass der Transport des Gases nach Norwegen deutlich weniger CO₂ verursache, als schliesslich in den Boden gepresst werde. «Es ist allerdings nur bei solchen Emissionen sinnvoll, die man unmöglich vermeiden kann.» Zumal das Verfahren sehr teuer sei.

CO₂ könnte gemäss Ammann sogar in der Schweiz in den Boden gepresst werden – theoretisch. Denn es komme halt viel billiger, das Kohlendioxid dereinst in den hohen Norden zu transportieren und dort einzulagern. Dazu werde allerdings ein Pipeline-System nötig sein. Ein solches ist in Deutschland in Planung, der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass auch die Schweiz daran angeschlossen wird. Allerdings: «Da ist noch sehr vieles offen», betont Ammann. Und: «Grundsätzlich sollten möglichst viele Emissionen vermieden werden – und nur im Notfall CO₂ abgeschieden und in den Boden gepumpt werden.»

Im Stadthaus von Lerwick, der grössten Hafenstadt des Inselreichs, äusserst man sich zur neuen Technologie eher zurückhaltend. Während Jahrzehnten hat man von der Erdölindustrie profitiert. Für die 22'000 Insulanerinnen und Insulaner gibt es zum Beispiel acht Hallenbäder auf dem subarktischen Archipel.

Lerwick, Ortschaft am Meer.
Legende: In Lerwick hofft man, mit der Einlagerung von CO₂ ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen, mit dem dereinst die wegbrechenden Öleinnahmen ersetzt werden können. SRF/Patrik Wülser

Bürgermeisterin Emma McDonald freut sich deshalb über alle Einnahmen, mit denen man diese aquatische Üppigkeit weiter finanzieren kann. «Ich begrüsse alles, was Arbeitsplätze auf die Insel bringt», sagt sie.

Nur ein Puzzleteil

Ein bisschen deutlicher äussert sich Tom Wills, Umweltingenieur und einer der wenigen grünen Politiker in Lerwick. «Carbon Storage» sei sicher eine hilfreiche Technologie, um die CO₂-Belastung in der Atmosphäre zu senken – und die Geologie rund um die Shetlands sei durchaus dafür geeignet.

«Doch diese Technologie sollte uns keinesfalls glauben lassen, dass wir so weiterfahren können wie bisher. Wir sollten in erster Linie schauen, dass wir weniger Öl und Gas verbrennen und weniger CO₂ ausstossen», betont er. «Carbon Storage» könne allenfalls ein Hilfsmittel sein.

Andere Pläne hat man in London. Bevor man auf den Shetlands CO₂ in den Meeresgrund pumpt, wird zuerst noch einmal kräftig Öl und Gas gefördert. Vor wenigen Wochen hat die britische Regierung grünes Licht gegeben, um westlich der Shetlands in der Nordsee die letzten grossen Ölfelder anzubohren.

Echo der Zeit, 7.12.2023, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel