Was ist passiert? Während die Evakuierungen liefen, ist es am Donnerstag ausserhalb des Flughafens von Kabul zu einem Anschlag gekommen. Dabei wurden laut US-Medien, unter Berufung auf lokale Behörden, rund 170 Menschen getötet. Über 200 Verletzte wurden in Spitäler eingeliefert. Auch Kinder befinden sich unter den Opfern.
Zudem wurden 13 US-Soldaten getötet und 18 weitere verletzt. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich demnach in die Luft. Zuvor war von zwei Selbstmordattentätern die Rede. Das Pentagon stellte heute klar, dass es nur einen Tatort und einen Selbstmordattentäter gab. Nach der Detonation hätten mehrere Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) das Feuer auf Zivilisten und Soldaten eröffnet.
Wer steht hinter der Tat? Der in Afghanistan aktive Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), der IS-Chorasan, bekannte sich im Internet zum Anschlag. Es handle sich dabei um eine Splittergruppe , die sich aus afghanischen und pakistanischen Radikalen zusammensetzt – ehemalige Taliban, wie Politikwissenschafter Markus Kaim gegenüber SRF erklärt. Der IS habe in einem Bekennerschreiben mitgeteilt, dass der Attentäter die Menschen im Visier hatte, die mit den Amerikanern zusammengearbeitet hätten, so SRF-Korrespondentin Anita Bünter. «Mit den Anschlägen konnte der IS zudem ein Signal senden, dass die Taliban die Sicherheitslage im Land nicht im Griff haben und der Machtanspruch der Taliban nicht ganz so weit reicht, wie das im Moment vielleicht der Anschein erweckt.»
Was sind die Reaktionen? Nach dem Anschlag haben die USA mit Vergeltung gedroht: «Wir werden Euch jagen und Euch dafür bezahlen lassen», sagte US-Präsident Joe Biden in der Nacht auf Freitag im Weissen Haus. Biden erklärte mit Blick auf den IS, die USA hätten Informationen dazu, wo sich die Drahtzieher der Anschläge aufhalten – und würden auch ohne grosse Militäreinsätze Möglichkeiten finden, diese zur Rechenschaft zu ziehen, «wo auch immer sie sind». Seine eindringlichen Worte an die Terroristen: «Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen.»
Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Tat aufs Schärfste. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte vor einer weiterhin «extrem gefährlichen» Lage in der afghanischen Hauptstadt Kabul und am Flughafen der Stadt. Der UNO-Sicherheitsrat fordert eine Bekämpfung des Terrorismus in Afghanistan.
Auch ein Vertreter der Taliban verurteilte gestern gegenüber einem türkischen TV-Sender die Anschläge und gab den ausländischen Truppen die Schuld für das Ereignis. 28 Taliban-Kämpfer seien beim Anschlag getötet worden.
Wie war die Sicherheitslage in Kabul? Rund um den Flughafen hatte sich die Lage in den letzten Tagen deutlich zugespitzt. Die deutsche Botschaft in Afghanistan und andere Stellen hatten vor Terrorgefahr gewarnt. Die US-Botschaft hatte US-Bürger, die sich am Abbey Gate, East Gate oder North Gate des Flughafens aufhielten, in der Nacht zu Donnerstag dazu aufgerufen, das Gebiet «sofort» zu verlassen. Das britische Verteidigungsministerium sprach noch am Donnerstagmorgen von der Drohung eines «ernsthaften, unmittelbaren, tödlichen Angriffs» binnen Stunden auf den Flughafen oder die von westlichen Truppen genutzten Zentren. Und auch die UNO und Afghanistans zivile Luftfahrtbehörde hätten die Menschen vor der mutmasslichen Terrorattacke eindringlich dazu aufgerufen, nicht zum Flughafen zu kommen, da es konkrete Hinweise auf Anschlagspläne gegeben habe.
Laufen die Evakuierungsflüge weiter? US-Präsident Joe Biden will die Evakuierungen aus Afghanistan trotz des Anschlags fortsetzen. «Wir werden weitermachen mit den Evakuierungen», sagte Biden in seiner Ansprache und versicherte, die Terroristen könnten die USA nicht dazu bringen, ihre Mission zu stoppen. Die Evakuierungen anderer Länder gehen aber langsam zu Ende. So haben einige Länder wie Kanada, Deutschland oder Spanien ihre Rettungsmissionen bereits für beendet erklärt. Die Taliban beharren darauf, dass die ausländischen Truppen bis zum 31. August abziehen müssen. Dann endet das von den USA selbst gesetzte Ultimatum für den vollständigen Abzug aus Afghanistan.