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Corona-Hotspot Portugal: Alle Notfallbetten besetzt, Patienten ausgeflogen

Kein Land wird derzeit so stark von der Pandemie getroffen wie Portugal. Viele Ansteckungen fanden an Weihnachten statt.

Nirgendwo gibt es derzeit proportional zur Einwohnerzahl so viele Corona-Ansteckungen wie in Portugal. Nach jüngsten Zahlen der EU-Agentur ECDC steckten sich zuletzt binnen 14 Tagen 1429 Menschen je 100'000 Einwohner mit dem Virus an. Damit liegt Portugal vor Spanien (1026) an der Spitze der 30 erfassten Länder. Die Situation ist nach Worten von Ministerpräsident António Costa «sehr schlimm».

Alle Notfallbetten sind besetzt, Patientinnen und Patienten müssen auf portugiesische Inseln oder nach Österreich ausgeflogen werden. Wie viele Menschen nach Österreich geflogen werden sollen, werde mit dem portugiesischen Gesundheitsministerium abgeklärt, teilte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Sonntag mit. Das Land hatte in der Vergangenheit schon Covid-Intensivpatienten aus Frankreich, Italien sowie Montenegro aufgenommen.

Strikte Reiseregeln, harter Lockdown

Zur Eindämmung der Pandemie hat sich Portugal nun abgeriegelt. Seit Sonntag ist in dem beliebten Urlaubsland die Ein- und Ausreise ohne triftigen Grund untersagt. An der Landgrenze zum Nachbarn und EU-Partner Spanien wurden – wie bereits im Frühjahr 2020 – wieder Kontrollen eingeführt. Die Schulen und Geschäfte sind geschlossen.

Angehörige verabschieden sich von einem Toten
Legende: Angehörige nehmen Abschied von einem an Covid-19 verstorbenen Mann, auf einem Parkplatz eines Krematoriums in Sintra. Ende Januar hat Portugal die Zahl von 300 Covid-19-Toten an einem einzigen Tag überschritten – ein neuer Höchststand an Todesfällen seit Beginn der Pandemie. Keystone

Die Lage im Land sei sehr ernst, sagt Tilo Wagner, Journalist in Lissabon. «Portugal erlebt den schlimmsten Moment in dieser Pandemie. Das Land befindet sich in einem harten Lockdown, seit knapp zehn Tagen sind die Schulen zu. Aber wir können bei weitem noch nicht von einer Entspannung reden.»

Das, was sich zurzeit in den portugiesischen Krankenhäusern abspielt, kommt einem Katastrophenszenario nahe.
Autor: Tilo Wagner Journalist in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon

Im Gegenteil, so Wagner: «Das, was sich zurzeit in den portugiesischen Krankenhäusern abspielt, kommt einem Katastrophenszenario nahe. Die Betten auf den Intensivstationen sind belegt, es werden Notkrankenhäuser geschaffen. Täglich sterben rund 300 Menschen an Covid-19, und das bei einer Bevölkerung von etwas mehr als 10 Millionen. Es gibt zurzeit kein Land auf der Welt, das so hart von der Pandemie getroffen wird wie Portugal.»

Deutsche Bundeswehr fliegt Personal nach Portugal

Box aufklappen Box zuklappen

Die deutsche Bundeswehr schickt Unterstützung nach Portugal. «Wir werden mit medizinischem Personal und Material helfen», sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin am Sonntag. Laut dem «Spiegel» soll ein Team mit 27 Ärzten und Sanitätern umgehend mit einem Militärflugzeug nach Portugal geflogen werden und dort zunächst drei Wochen bleiben. Zudem sollten stationäre und mobile Beatmungsgeräte sowie Feldkrankenbetten in das Land geschickt werden.

Die Probleme begannen allerdings schon vor der Pandemie, erklärt Wagner. «Das portugiesische Gesundheitssystem befand sich schon vor Corona in einer prekären Lage. Hier gibt es pro 100'000 Einwohner so wenige Betten auf den Intensivstationen wie in kaum einem anderen EU-Land.»

Weihnachten ohne Einschränkungen

Nun erlebt Portugal seit dem Jahreswechsel einen exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen. Dies liegt zum einen daran, dass die Portugiesen ohne Einschränkungen Weihnachten feiern konnten. «Gleichzeitig kamen viele portugiesische Migranten, die in Grossbritannien leben, für das Fest zurück und haben wohl auch die britische Virusvariante eingeschleppt.»

gesperrter Spielplatz
Legende: Gesperrter Spielplatz in der Hauptstadt: Das portugiesische Gesundheitsministerium schätzt, dass bereits 50 Prozent der Neuinfektionen im Grossraum Lissabon auf den erstmals in Grossbritannien aufgetauchten Virusmutanten zurückzuführen sind. Reuters

Die portugiesische Regierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, bei der Verschärfung der Massnahmen zu zögerlich reagiert zu haben. Sie habe die Situation wohl schlicht und einfach unterschätzt, so Wagner. Andererseits sei es auch eine politische Entscheidung gewesen, die Schulen so lange wie möglich offenzuhalten: «Die sozialistische Regierung glaubt, dass gerade sie für einen sozialen Ausgleich sorgen. Es gibt hier noch viele Kinder und Jugendliche, die nicht so einfach an einen Computer herankommen.»

Dass die Schulen aber so lange offenblieben, habe dazu geführt, dass die Portugiesen den Lockdown auch nicht so ernst genommen wie im vergangenen Frühjahr. «Und das spiegelt sich jetzt weiter in den hohen Zahlen der Neuinfektionen wider», sagt Wagner.

SRF 4 News, 1.2.2021, 7:40 Uhr ; 

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