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Corona in den USA New York rutscht immer tiefer in die Wirtschaftskrise

Die Weltmetropole hat sich dramatisch verändert. Tausende Kleinunternehmen gehen ein, an prominenter Adresse stehen Ladenlokale leer.

«Dauerhaft geschlossen!», «Ladenlokal zu vermieten» – überall in New York prangen solche Schilder an den Ladenlokalen. Ich traue manchmal meinen Augen kaum, wenn ich mit dem Fahrrad durch die Strassen von Manhattan fahre: Links ist der Laden von «Desigual» leer, rechts jener von «Victoria’s Secret». So geht das über mehrere Kilometer dem Broadway entlang.

Dabei hat New York das Coronavirus eigentlich gut im Griff. Unter dem Eindruck der verheerenden Pandemie-Welle im Frühling lockern Bundesstaat und Stadtregierung die strengen Massnahmen nur sehr zögerlich. Die Zahl der Neuinfektionen ist auf ein sehr tiefes Niveau gefallen – tiefer als jenes in der Schweiz.

Einnahmen reichen nicht annähernd

Doch die wirtschaftlichen Folgen sind verheerend. Hunderte Restaurants sind geschlossen oder vom unmittelbaren Ende bedroht. Zwar dürfen sie mittlerweile draussen Tische aufstellen, doch für viele Betriebe reichen die Einnahmen dadurch nicht annähernd.

Es war reine Zeitverschwendung. Die Einnahmen deckten kaum die Lohnkosten und schon gar nicht die Miete und die Betriebskosten
Autor: Brian Keyser Restaurant-Besitzer

Zum Beispiel das «Caselulla» im Stadtteil Hells Kitchen. Besitzer Brian Keyser ist am Ausmisten, als wir ihn besuchen. Einen Monat nach der Lockerung habe er einsehen müssen, dass er so nicht über die Runden komme: «Es war reine Zeitverschwendung. Die Einnahmen deckten kaum die Lohnkosten und schon gar nicht die Miete und die Betriebskosten».

Wohlhabende ziehen weg

Das «Caselulla» befindet sich nah an den Broadway-Theatern, die noch bis mindestens Ende Jahr geschlossen sind. Die Touristen bleiben aus, ebenso die Schauspieler und Bühnenarbeiter, die das «Caselulla» frequentierten. Ab Ende Monat dürften die Restaurants zwar die Innenräume mit 25 Prozent Auslastung öffnen, aber das ändert für Keyser kaum etwas.

Wir hatten uns auf wohlhabende Kunden ausgerichtet, die aus Karrieregründen hierhergezogen waren. Doch wegen Home-Office gibt es für sie keinen Grund mehr, hier zu wohnen. Sie sind weggezogen.
Autor: Enrico Mariotti Coiffeur

Ähnlich traf es den Herrencoiffeur Enrico Mariotti. Er besass bis zur Pandemie zwei Salons mit zwölf Mitarbeitern. Beide musste er schliessen: «Wir hatten uns auf wohlhabende Kunden ausgerichtet, die aus Karrieregründen hierhergezogen waren. Jetzt arbeiten sie im Home-Office, ihre Büros sind wohl noch lange zu. Für sie gibt es keinen Grund mehr, hier zu wohnen, sie sind weggezogen.»

Auf dem Wohnungsmarkt fallen die Preise

In den ersten Monaten der Pandemie kamen viele Kleinunternehmen dank staatlicher Hilfe über die Runden. Doch das Hilfsprogramm ist ausgelaufen, ohne dass der Kongress sich bisher auf ein neues Paket einigen konnte. Der Kahlschlag in New York nimmt seinen Lauf.

Die «New York Times» schrieb im August von rund 3000 Kleinunternehmen, die allein in der Stadt eingegangen seien. Seither dürften Hunderte dazugekommen sein, genaue Zahlen gibt es nicht. Zugleich fallen auf dem Wohnungsmarkt die Preise.

Als der Lockdown kam, wollten manche nicht in ihren kleinen Wohnungen stecken bleiben. Sie zogen wieder weg.
Autor: Yaron Cohen Immobilienmakler

Laut Immobilienmakler Yaron Cohen trifft es New York besonders hart, weil viele Bewohner aus anderen Regionen des Landes und aus aller Welt zugezogen waren: «Als der Lockdown kam, wollten manche nicht in ihren kleinen Wohnungen stecken bleiben. Sie zogen wieder weg, vielleicht irgendwo hin, wo man einen Garten hat, Natur, frische Luft.»

Typischer Optimismus

Der Stadt und dem Bundesstaat entgehen dadurch wichtige Steuereinnahmen. Die Behörden stimmen die Bewohner auf drastische Sparmassnahmen ein. So gerät New York in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale.

Und doch stelle ich bei den meisten Menschen hier den typischen Optimismus fest. New York hat schon viele Krisen überstanden. «Die Stadt wird zurückkommen», sagt Coiffeur Mariotti. «Die grosse Frage ist, wann.»

Thomas von Grünigen

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Thomas von Grünigen ist seit Januar 2015 SRF-Korrespondent in New York. Er hat an den Universitäten Bern und Freiburg sowie an der American University in Washington DC Medien- und Kommunikationswissenschaft, Journalistik und Anglistik studiert und in Freiburg mit einem Master of Arts erfolgreich abgeschlossen. Seit 2006 arbeitet er für SRF.

10vor10, 15.09.2020

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