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Coronavirus hinter Gittern Wenn Gefängnisse zu tickenden Zeitbomben werden

Wegen der Corona-Krise gibt es weltweit Aufstände und Fluchtversuche von Häftlingen. Tausende sind bereits freigelassen worden. Auch die Schweiz trifft Massnahmen.

Ist das Coronavirus erst einmal hinter den Gefängnismauern, sind häufig gleich zahlreiche Inhaftierte in Gefahr. Erst recht, wenn die Gefängnisse überbelegt sind, wie etwa in Kolumbien. In der Hauptstadt Bogotá kam es in den vergangenen Tagen zu einem versuchten Massenausbruch. Häftlinge waren wegen des Coronavirus in Panik geraten und versuchten gewaltsam ins Freie zu gelangen. Dabei sollen 23 Personen gestorben sein, zahlreiche wurden verletzt.

Überbelegte Gefängnisse als Gefahr

Auch in Brasilien und Chile kam es diese Tage zu ähnlichen Szenen. In São Paulo rebellierten mehr als 1300 Gefangene und flohen aus verschiedenen Gefängnissen. In Santiago de Chile zündeten Häftlinge Kleider und Matratzen an, um auf sich aufmerksam zu machen. Verzweifelte Angehörige, die wegen des Coronavirus zu Hause bleiben sollten, stürmten zu den Gefängnissen, in Sorge um ihre Liebsten.

Das Problem in den häufig überbelegten Gefängnissen: Social Distancing kann hinter den Mauern kaum eingehalten werden, eine Isolation von Corona-Patienten ist nur beschränkt möglich – die Ansteckungsgefahr für Insassen und Aufsichtspersonal ist gross.

Häftlinge werden entlassen

Mehrere Staaten haben sich deshalb aktiv entschieden, Häftlinge, die kleinere und gewaltfreie Delikte verübt haben, vorzeitig freizulassen. Wohl wissend, dass eine solche Massnahme sehr umstritten ist und die Bevölkerung verunsichern dürfte.

Insassen eines italienischen Gefängnis
Legende: Insassen des Gefängnisses San Vittore in Mailand bei einem Aufstand Mitte März. Reuters

In New York etwa sind bereits 300 Häftlinge auf freien Fuss gesetzt worden. Und es sollen noch mehr werden: Bürgermeister Bill de Blasio möchte, dass alle Personen freikommen, die über 70 sind oder zur Risikogruppe gehören und keine Schwerkriminellen sind.

Die französische Regierung plant, in nächster Zeit rund 5000 Häftlinge zu entlassen. Ausgenommen sind Personen, die Delikte in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und Terrorismus verübt haben.

In anderen Staaten werden kurzfristige Massnahmen getroffen. Im Iran etwa wurde der Hafturlaub für 85'000 Häftlinge um zwei Wochen verlängert, in Gefängnissen in Kosovo und in Brasilien nähen die Insassinnen und Insassen ihre eigenen Atemschutzmasken.

Schweizer Gefängnisse reagieren

Auch in der Schweiz gibt es bereits erste Corona-Fälle hinter den Gefängnismauern. Nachgewiesen wurden sie bislang im Kanton Genf und im Kanton Bern.

Im Frauengefängnis Hindelbank (BE) hat sich der Alltag aufgrund des Coronavirus ebenfalls stark verändert. «Die Insassinnen sind länger in den Zellen, sie wohnen in Wohngruppen und Einzelzellen und die Zeit in den Wohngruppen wird verkürzt», sagt Annette Keller, Direktorin der Justizvollzugsanstalt.

Oberste Devise in den Schweizer Gefängnissen: Die Ansteckungsgefahr und die Anzahl Gefangenen so gering wie möglich halten. Die Kantone arbeiten an Lösungen. «Man kann die Leute innerhalb oder zwischen den Gefängnissen verteilen. Oder man kann Leute nicht aufbieten, die eine Gefängnisstrafe absitzen müssen», erklärt Regierungsrat Baschi Dürr, Vize-Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren.

Im Gegensatz zum Ausland werden in der Schweiz Gefangene nicht entlassen, weil sie der Risikogruppe angehören. Ein Haftunterbruch oder eine Haftentlassung sei nur der letzte Ausweg, so Dürr.

Der Kanton Zürich sorgt für den Fall vor, dass die Zahl der erkrankten Insassen ansteigt. Geplant ist, das ehemalige Gefängnis in Horgen in eine Art Krankenstation umzuwandeln.

Tagesschau, 19:30 Uhr, 29.03.2020

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