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«Cumhuriyet»-Prozess «Keine Rede mehr von Rechtsstaatlichkeit»

In der Türkei droht Journalisten, für Jahrzehnte weggesperrt zu werden. Der ehemalige NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann war am Prozess in Istanbul. Er berichtet, wie die letzten kritischen Stimmen im Land mundtot gemacht werden.

  • Im umstrittenen Prozess gegen Angestellte der regierungskritischen türkischen Zeitung «Cumhuriyet» bleiben fünf prominente Angeklagte weiter in Untersuchungshaft.
  • Das hat ein Gericht in Istanbul gestern entschieden. Der Vorwurf lautet auf Unterstützung von Terror-Organisationen.
  • Das sei absurd, sagen Organisationen und Journalisten, die sich für die Pressefreiheit einsetzen. Markus Spillmann, Vizepräsident der Internationalen Presseinstituts (IPI), ist einer von ihnen.

SRF News: Wie ist Ihr persönlicher Eindruck vom Prozess?

Zur Person

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Der ehemalige NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann ist Vizepräsident des Internationalen Presseinstituts in Wien. Er berichtet über den Strafprozess gegen 17 Mitarbeiter der Zeitung «Cumhuriyet», der derzeit in Istanbul durchgeführt wird.

Markus Spillmann: Es war ein sehr langer Prozess am Montag. Die eigentliche Anhörung dauerte neun Stunden, alles zusammen ganze 14 Stunden. Beweisführung und Verteidigung waren sehr langfädig. Die Stimmung war gedämpft, ruhig, natürlich auch gespannt. Und am Ende stand eine grosse Enttäuschung.

In letzter Zeit war viel von einem Schauprozess gegen die Journalisten von «Cumhuriyet» die Rede. Sehen Sie das auch so?

Diesem Eindruck kann man sich nicht ganz erwehren, obwohl die ganze Ambiance und der Prozessverlauf den Anschein machen, dass alles rechtsstaatlichen Prinzipien folgt. Doch die Tatsache, dass der ermittelnde Staatsanwalt nach neun Stunden keinerlei Fragen an die Angeklagten hatte, zeigt, dass von Rechtsstaatlichkeit keine Rede mehr sein kann.

Die Vorwürfe gegen die Journalisten wiegen schwer: Sie sollen Terroristen geholfen haben. Was ist dran?

Die Vorwürfe wiederholen sich. Einerseits geht es um technische Aspekte. Konkret um ein Verschlüsselungsprogramm, das die Angeklagten auf ihren Handys verwendet haben sollen, um mit angeblichen Gülenisten Kontakt aufzunehmen. Die Angeklagten haben im Detail nachweisen können, dass das nicht der Fall ist.

Wenn es draussen niemanden gibt, der sich für Sie einsetzt und so etwas publik macht – dann werden Sie über kurz oder lang gebrochen.
Autor: Markus Spillmann Zur Situation der Angeklagten

Zum anderen geht es darum, «Cumhuriyet» mundtot zu machen oder zumindest so weit zu konditionieren, dass die Zeitung nicht mehr kritisch gegen die regierende Partei AKP schreibt. «Cumhuriyet» ist fast die einzige oppositionelle Stimme, die es in der Türkei noch gibt. Da treffen sich der Vorwurf des Terrorismus und das politische Argument.

Wie frei konnten Sie als Beobachter die Gerichtsverhandlung überhaupt verfolgen?

Es ging zwar etwas lange, bis wir in den Gerichtssaal gelassen wurden. Aber insgesamt war es eigentlich kein Problem. Die Vertreter vor Ort, insbesondere auch die Aufseher des Gerichts, waren soweit kooperativ und durchaus freundlich. Wir wurden nicht schikaniert oder behindert. Die Atmosphäre war allerdings gespannt, es gab ein sehr grosses Sicherheitsdispositiv. Polizei und Einsatzkräfte schirmten das Gerichtsgebäude ab. Grundsätzlich konnten wir aber gut arbeiten.

Was kann eine Organisation wie das Internationale Presseinstitut überhaupt tun, neben der Beobachtung des Prozesses?

Man muss sich immer wieder vor Augen halten, was hier passiert ist. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen beim Nachtessen. Die Polizei kommt rein, nimmt sie fest. Sie können sich noch kurz von Ihrer Frau und Ihren Kindern verabschieden. Dann verschwinden Sie in einem Hochsicherheitsgefängnis und sitzen dort über Monate. Konfrontiert mit Vorwürfen, die Ihnen eine Haftstrafe von Dutzenden Jahren aufbürden könnten. Das ist die Situation.

Wenn es draussen niemanden gibt, der sich für Sie einsetzt und so etwas publik macht – dann werden Sie über kurz oder lang gebrochen. Das ist der Grund, warum wir und auch andere internationale Organisationen aktiv sind und es bleiben werden. Dieser Fall, diese Menschen dürfen nicht vergessen werden. Der Verlauf des Prozesses muss dargestellt, die Erinnerung wach gehalten werden, dass hier etwas nicht stimmt.

Die Erinnerung wach halten ist das eine und sehr löblich. Man spricht aber von bis zu 43 Jahren Haft für die Angeklagten. Wenn es so kommen sollte: Was wird Ihre Organisation dann tun, welche Möglichkeiten gibt es?

Wir wirken im Hintergrund auf die zuständigen Ministerien, die Verwaltung und die Sicherheitskräfte ein. Wir suchen das Gespräch und wollen auch präventiv auf Missstände aufmerksam machen. Wir machen eben solche Missstände auch gezielt publik und markieren immer wieder Präsenz. Wir dokumentieren die Vorgänge. Weitergehende Druckmittel hat eine NGO wie das International Press Institute (IPI) aber nicht.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

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