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Debattenkultur im Bundestag Wutrede oder Sachargumente – der schwierige Umgang mit der AfD

Heute ist Angela Merkel zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt worden. Deutschland kehrt nach einem halben Jahr im Ausnahmezustand zur Normalität zurück, könnte man meinen. Aber der Einzug der AfD in den Bundestag hat die Lage verändert.

«Der Mann sieht aus wie ein Schülersprecher», spottete ein altgedienter Parlamentarier, als der 25-jährige Newcomer Philipp Amthor (CDU) ans Rednerpult im Bundestag trat. Doch der erfahrene Politiker hätte gewarnt sein müssen, denn der neue CDU-Abgeordnete hatte als Jüngster von 709 Frauen und Männern im gesamten Bundestag ein sog. Direktmandat gewonnen und war in seinem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern, einer Hochburg der AfD, mit den meisten Stimmen direkt für die CDU in den Bundestag gewählt worden. Eine Viertelstunde nach seinem Auftritt im altehrwürdigen Reichstag war Philipp Amthor für die Politikinteressierten in ganz Deutschland ein Begriff.

Philipp Amthor vor einem CDU-Logo
Legende: Philipp Amthor (CDU) ist der jüngste Abgeordnete des Bundestags. Er will die AfD auf sachlicher Ebene bekämpfen. Keystone

Sachliche Attacke, oder…

Anlass für seine Rede war ein Antrag der AfD für ein deutschlandweites Verhüllungsverbot. Amthor wagte einen riskanten Spagat. Er sei auch für ein Verhüllungsverbot, also gegen die Burka und Niqab, sagte er in den Applaus der AfD hinein, um die AfD-Fraktion dann unvermittelt zu attackieren.

Es kann nicht sein, dass wir konservative Themen aufgeben, nur weil die AfD ein Thema besetzt.
Autor: Philipp Amthor CDU-Bundestagsabgeordneter

Der Jurist Amthor argumentierte mit Sachargumenten und warf der AfD vor, «völligen Unsinn» zu erzählen, obwohl ein Viertel der Fraktion Juristen seien. Die AfD habe nicht einmal das wissenschaftliche Gutachten des Bundestags gelesen, dass dem Vorstoss der AfD Verfassungswidrigkeit bescheinige. «Völliger Unsinn, hören Sie mir mal zu, dann können Sie noch was lernen», spottete der 25-Jährige. Die Verfassung gelte für alle, nicht nur für Moslems, auch für Deutsche und ein Verhüllungsverbot sei nur zulässig, wenn es auch mit der Verfassung übereinstimme.

«Es kann nicht sein, dass wir konservative Themen aufgeben, nur weil die AfD ein Thema besetzt», argumentiert Amthor im Gespräch mit Radio SRF. Aber wenn die CDU ein Verhüllungsverbot fordere, müsse das verfassungsrechtlich wasserdicht begründet sein und nicht durch populistische Argumente.

…heiliger Zorn

Eine ganz andere Taktik wählte der populäre Abgeordnete der Grünen, Cem Özdemir. Er attackiert die AfD unter dem Jubel seiner Fraktion mit heiligem Zorn. Anders als die CDU können sich die Grünen ein solches Vorgehen leisten, weil kaum ein grüner Wähler zur AfD übergelaufen ist. Die CDU aber hat eine Million Wähler an die AfD verloren. Gerade in Mecklenburg-Vorpommern gibt es Wahlkreise, «in denen jeder Vierte AfD gewählt hat», sagt Amthor.

Pauschale Angriffe kann er sich nicht leisten, wenn er Wähler zurückgewinnen will. Welche Taktik mehr Erfolg verspricht, darüber sind sich die Fraktionen noch nicht einig. Man wolle die AfD nicht zur Märtyrerin machen, sagen alle.

Pures Gold für die AfD

Für die AfD ist der Einzug in den Bundestag Gold wert. Nicht nur, dass die staatlichen Fördergelder fliessen, die AfD-Auftritte im Bundestag haben auch enorme Resonanz bei den Anhängern der AfD und sind wahrscheinlich in den Sozialen Medien enorm populär. Die AfD versucht denn auch vor allem mit Symbolpolitik ihre Anhängerschaft zu mobilisieren, egal ob eine Umsetzung realistisch ist. Die anderen Parteien lassen sich jedenfalls provozieren und kontern mehr oder weniger rhetorisch geschickt.

Nur scheinbare Normalität

Mit der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin und der dritten Grossen Koalition in der Ära Merkel ist scheinbar wieder Normalität in Deutschland eingekehrt. Deutschland ist sechs Monate nach der Bundestagswahl politisch zumindest wieder voll funktionsfähig. Doch die vergangenen sechs Monate haben das Land verändert. Der Sieg der Unionsparteien fiel überraschend schwach aus und war in Tat und Wahrheit eine Niederlage. Die SPD ist auf ein Rekordtief gefallen und niemand weiss, ob sie sich davon erholen wird.

Ob Deutschland langfristig noch der Hort politischer Stabilität bleiben wird, wagt niemand zu prophezeien. Denn ob sich die Volksparteien behaupten können, ist nicht sicher. Schon jetzt sind sieben Parteien im Bundestag vertreten, was eine Regierungsbildung so schwierig machte, wie noch nie seit 1949.

Das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, eines Bündnisses von CDU/CSU, FDP und Grünen, sitzt dem politischen Deutschland noch in den Knochen. Und das Land ist sich bewusstgeworden, dass der Beginn dieser neuen Grossen Koalition auch der Anfang vom Ende der Ära Merkel ist. Ob sie noch vier Jahre dauert oder ob es in der laufenden Legislaturperiode schon zu einem Koalitionsbruch kommt, ist nicht sicher. Der frühere SPD-Innenminister Otto Schily oder der Co-Fraktionschef der Linken prognostizierten aber beim SRF, die Koalition werde vier Jahre halten.

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