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UNO-Bericht: Immer mehr Menschen kritisieren Demokratien
Aus SRF 4 News aktuell vom 15.03.2024. Bild: Keystone/DPA/Christoph Reichwein
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Demokratie in Gefahr? Wenn die Mehrheit der Menschen Antidemokraten unterstützt

Mehr als die Hälfte aller Menschen auf der Welt unterstützt Regierungsoberhäupter, die sich nicht an demokratische Regeln halten. Das zeigt eine UNO-Studie. Und das, obwohl sich Menschen eigentlich mehr Demokratie und Freiheit wünschen. Wieso der Widerspruch?

Immer mehr Menschen auf der Welt haben einem neuen UNO-Bericht zufolge kein Problem mit Politikerinnen und Politikern, die die Demokratie untergraben. Neun von zehn Menschen auf der Welt heissen Volksherrschaften grundsätzlich zwar gut. Und trotzdem unterstützten «zum ersten Mal überhaupt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung» Staats- und Regierungschefs, die demokratische Regeln missachten. Das teilte die UNO-Entwicklungsagentur UNDP in ihrem jährlichen Bericht zur menschlichen Entwicklung mit.

Über 50 Prozent der für die Studie befragten Personen antworteten, dass ein starker Anführer, der sich «nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss», entweder «sehr gut» oder «eher gut» sei.

Wunsch nach Freiheit, Unterstützung von Autokratie

Die meisten Menschen wünschen sich also mehr Demokratie und Freiheit, und dennoch sympathisieren sie mit autokratischen Regierungsformen.

Die Politikwissenschaftlerin Julia Leininger erklärt den Widerspruch: «Das erklärt sich durch eine Dissonanz: zwischen dem abstrakten Wunsch nach einer Demokratie, also in Freiheit und Wohlstand zu leben, und der Unzufriedenheit von einzelnen Menschen mit ihrer eigenen Lebenssituation. Denn in dieser erfahren sie nicht diese Freiheit und diesen Wohlstand.»

Diese widersprüchlichen Aussagen seien vielen Menschen jedoch nicht bewusst, so Leininger. Sie forscht am «German Institute of Development and Sustainability (IDOS)» in Bonn. «Es werden einzelne Rädchen in der Demokratie gedreht, bis irgendwann das Gesamtsystem, die Demokratie in eine Autokratie kippt», sagt Leininger.

Einzelne Medien würden zensiert, Freiheitsrechte von NGOs eingeschränkt, die Macht von Regierungschefs werde über Verfassungsänderungen langsam ausgebaut.

Ebenfalls sinke die Qualität der Institutionen, die die Wahlen vorbereiten. Freie und faire Wahlen an sich würden weniger.

Drei Gründe für den Autokratisierungstrend:

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  • Die Welt wird komplexer: Die Politik muss Probleme lösen, die eine einzelne Regierung nicht mehr stemmen kann, beispielsweise den Klimawandel oder die Pandemie. Es gibt dafür keine einfache und schnelle Lösung. Das werde zu wenig vermittelt. Und das gehe einher mit einem Unsicherheitsgefühl bei Einzelnen. «Diese Unsicherheit verlangt nach einer starken Hand. Diese bieten vor allem populistische, oft auch nationalistische Regierungseliten an», so Leininger.
  • Uneingelöste Versprechen: Seit den 1990er-Jahren gab es in vielen Ländern das grosse Versprechen der Demokratie: ein System, das Wohlstand und Freiheit bringt. Viele Menschen erleben das nicht so. Sie wollen nun eine andere oder keine Demokratie mehr.
  • Polarisierung: Politische Eliten eröffnen zum Beispiel unterschiedliche Positionen zwischen Parteien. Das seien oft moralische Vorstellungen: Was ist gut, was schlecht? Wer gehört dazu oder nicht? Das führt zu einer politischen Polarisierung, wenn beispielsweise politische Parteien keine Kompromisse mehr schliessen können. Das wiederum werde auf die Gesellschaft übertragen, die soziale Polarisierung, erklärt Leininger: «Da ist eine Gesellschaft festgefahren, es ist ein ‹wir gegen die›».

Betroffen sind nicht nur Entwicklungsländer, sondern auch wohlhabende Staaten. Durch die Zuwendung zu den Antidemokraten sei die Stabilität der Demokratien zunehmend gefährdet, denn «mehr Autokratisierung geht auch einher mit einer Gewaltbereitschaft, mit mehr Hass», sagt die Politikwissenschaftlerin. «In einer Welt, in der Demokratien nicht mehr stabil sind, wird es weniger verlässliche, mit viel Erwartungssicherheit verbundene Kooperationen geben. Weniger Demokratie heisst langfristig gesehen auch weniger Frieden und auch weniger Wohlstand.»

Vor dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos, Schweiz, am 15. Januar 2024 wehen Flaggen.
Legende: Bei globalen Problemen wie dem Klimawandel oder der Demokratie braucht es verlässliche Kooperationen. «Dafür braucht es internationale Institutionen, die ähnliche Rechtsvorstellungen haben, wie man Konflikte löst. Und diese Bereitschaft nimmt ab», sagt Julia Leininger. Reuters/Denis Balibouse

Ein Blick in die Vergangenheit weckt jedoch Hoffnung, so die Politikwissenschaftlerin. Wenn wir den Wellen der Vergangenheit vertrauen, würde es auch wieder nach oben Richtung Demkoratisierung gehen. Doch Leininger relativiert: Die Problemlagen heute seien komplexer als in den letzten Jahrzehnten. «Deshalb ist es nicht verlässlich, dass es auch wieder eine Aufwärtsbewegung gibt.»

SRF 4 News, 15.03.2024, 06:47 Uhr;

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