Es ist eine unwirkliche Szenerie: Vorne branden leise die Wellen an den Strand aus hellem, feinem Sand. Im Wasser spielen zwei, drei Familien mit einer Horde Kindern und genauso aufgedrehten Männern. Nur 20 Meter vom Meer entfernt: eine Gebäudezeile, durch Luftangriffe in Trümmer gebombt. Und darin ein paar junge Männer, die in den Mauerbrocken herumspringen: Die Parkour-Boys von Aden im Jemen.
«Alles ist schwierig in Aden»
«Wenn ich über diese Trümmer springe und mich von Ruine zu Ruine vorwärts bewege, dann hilft mir das, mich von meinen Ängsten zu befreien!» Mohammed ist 15 Jahre alt und einer der Jüngsten in der Gruppe. Zwölf junge Männer sind es. Sie treffen sich an diesem Strand, wann immer sie können. Und wann immer es ihnen die Milizen erlauben, die hier das Sagen haben.
«Komm schon, wir sind in Aden», stöhnt Mohammed, als wir ihn fragen, wie hoch die Hürden seien, die sich ihnen in den Weg stellten. «Alles ist schwierig in Aden. Aber wir sehen Parkour gerade deswegen als idealen Sport.»
Mit Parkour den Alltag verdrängen
Parkour ist die «Kunst der effizienten Fortbewegung». Parkour, das ist, wenn ein Läufer – der «Traceur» – versucht, nur mit den Fähigkeiten seines eigenen Körpers möglichst geradlinig von Punkt A nach B zu gelangen und dabei die sich ihm in den Weg stellenden Hindernisse durch eine Kombination verschiedener Bewegungen so effizient wie möglich überwindet.
Was ein französischer Ex-Soldat in den späten 1980er-Jahren erfand, ist für die Jugendlichen von Aden die ideale Form, den Krieg zu verarbeiten: «Ich versuche, mich selbst mit Parkour so zu beschäftigen, dass ich den Krieg vergesse», sagt Mohammed, keuchend an eine Trümmerwand gelehnt. «Wir versuchen, ein Gebilde zu malen mit unseren Bewegungen, sodass die Menschen, die uns zuschauen, etwas anderes sehen als die Trümmer und die Zerstörung. Wir versuchen, sie so auf andere Gedanken zu bringen.»
«Wir wollen nichts mehr, als so zu sein wie ihr in Europa»
Einen offiziellen Klub können die Parkour-Boys von Aden nicht gründen. Niemand würde sie akzeptieren. Strukturen, die Sport unterstützen würden, gibt es keine. «Dabei würden wir uns das so sehr wünschen», sagt Mohammed. «Denn wir wollen nichts mehr, als so zu sein wie ihr in Europa, mit euren Möglichkeiten, mit euren Klubs, wo ihr Sport treiben und euch gegenseitig in Wettkämpfen messen könnt.»
Manchmal sind es für uns westliche Besucher unscheinbare Dinge, die viel bedeuten können. Denn einen Klub gründen zu können, würde heissen, Strukturen, eine Zivilgesellschaft zu haben. Ein normales Leben zu haben. Doch davon sind die Parkour-Boys in den Trümmern des Jemen weit entfernt.