So etwas gab es bei einem Grünen-Parteitag selten: Einigkeit. Statt sich chaotisch über rund 3200 Änderungsanträge zu streiten, heissen die Delegierten das Wahlprogramm der Parteispitze gut. Deren gemässigter Kurs setzt sich durch: Der ökologische Umbau der Wirtschaft soll möglichst sozial verträglich gestaltet werden. Strategie und Programm für den Wahlkampf stehen: bloss keine Eigentore mehr wegen zu radikaler Forderungen.
Zuletzt gaben die Grünen in der Öffentlichkeit ein unglückliches Bild ab. Da waren Ungereimtheiten in Annalena Baerbocks Lebenslauf; Zuwendungen, die zu spät gemeldet wurden oder unbedachte Äusserungen von Co-Chef Robert Habeck zum Ukraine-Konflikt – für sich genommen Petitessen, doch insgesamt entstand das Bild eines dilettantischen oder zumindest reichlich naiven Wahlkampfteams.
Dabei hatte alles so schön angefangen
Die Quittung folgte auf dem Fuss: Die Grünen verloren in Umfragen deutlich und Annalena Baerbocks persönliche Werte stürzten richtiggehend ab. Dabei hatte alles so schön angefangen, als sie ihre Kandidatur Ende April bekannt gegeben hatte und danach zum Höhenflug ansetzte. Manch eine sah sie bereits auf der Zielgeraden ins Kanzleramt.
Am Parteitag der Grünen musste Baerbock nun wieder Boden gutmachen. Und erhielt von ihrer Partei viel Rückenwind. Über 98.5 Prozent der Delegierten wählten sie zur Kanzlerkandidatin und mit ihr Co-Chef Robert Habeck zum Spitzenkandidaten. Sie trete an für ein Zutrauen, es in Zukunft besser zu machen, sagte Baerbock.
Baerbock wurde zur Zielscheibe
Auch Co-Chef Habeck stellte sich hinter Baerbock und beschwor den Zusammenhalt. «Kameradschaft und Solidarität beweisen sich nicht bei Sonnenschein, sondern dann», den Blick auf Annalena Baerbock gerichtet, «wenn jemand im Regen steht».
Bereits vor ihrer Kandidatur als Kanzlerin war Baerbock für manche rechts der Mitte ein rotes Tuch gewesen, doch nun, im sich aufheizenden Wahlkampf der letzten Wochen, wurde sie regelrecht zur Zielscheibe.
Direkt zu Beginn des dreitägigen Parteitags machte Habeck deshalb klar: «Gemeinsam durch dick und dünn.» Die Grüne Harmonie steht, der Kurs ist definiert. Und die Partei bleibt ihren Werten treu: eigene Inhalte statt billiger Angriffe auf den politischen Gegner.
Wem trauen die Deutschen die Führung des Landes zu?
Bloss geht es in diesem Wahlkampf bisher weder um Fairness noch um innerparteiliche Geschmeidigkeit, und schon gar nicht scheint es um konkrete politische Inhalte zu gehen. Wie soll es auch, wenn die mächtigste Partei im Land, die CDU unter Kanzlerkandidat Armin Laschet, noch immer kein Programm hat.
Es geht vor allem darum, wem die Deutschen die Führung des Landes zutrauen und welche Partei den unbedingten Willen zur Macht hat, diese verteidigen oder sie erringen wird. Ob die Grünen diesem Kampf gewachsen sind, wird spannend sein zu beobachten. Die nötige Souveränität strahlt Baerbock bisher nicht aus.