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Deutsche Waffen für Kiew Der Panzer «Marder», die Fahrschule und ein zögernder Kanzler

Auf Youtube sieht alles ganz einfach aus. Im «Jobporträt Panzerfahrer Marder» erklärt Oberstabsgefreiter Robert Platz, wie es geht: Steuerrad, Gaspedal, Tacho, Tankanzeige und los.

In der Praxis ist es aber komplizierter. Experten schätzen: Es braucht mindestens ein halbes Jahr, bis man den Schützenpanzer «Marder» beherrscht. Zudem ist der «Marder» nicht gerade taufrisch: Die ersten dieser Schützenpanzer wurden 1971 ausgeliefert. Ein Oldtimer.

Alle ausser Scholz wollen liefern

Und doch spielt der «Marder» in der deutschen Politik derzeit eine Hauptrolle. Rund 100 Stück stehen beim Hersteller Rheinmetall in Düsseldorf herum. Beziehungsweise rosten vor sich hin. Diese Panzer könnte die Ukraine gut gebrauchen. Sie sind wendig, geländegängig und bieten sieben Panzergrenadieren Platz. Perfekt für den Kampf an der Front. Es bräuchte zwar Wochen, um sie wieder kampfbereit zu machen – aber ein «Go» aus Berlin wäre nötig. Jeder Tag zähle, sagen ukrainische Regierungsvertreter.

Doch der Kanzler will nicht liefern. Obwohl sogar die Grünen für diese Art von Rüstungshilfe sind. «Das Problem ist im Kanzleramt», sagt Aussenpolitiker Anton Hofreiter und attackiert den Kanzler so frontal. Auch die FDP will schwere Waffen liefern. Eigentlich alle ausser Scholz, der «Linken» und der AfD.

Wer zeigt es den Ukrainern vor?

Doch wäre eine Lieferung der gewünschten «Marder» wirklich mehr als ein PR-Coup, mehr als Gewissensberuhigung?

Klar, Argumente dafür gibt es einige: Die Ukraine soll sich gegen den Angreifer Russland verteidigen können. Das Leid muss gemindert werden. Alles, was den Krieg verkürzt – und damit Leben rettet, Gräueltaten verhindert – ist gut.

Doch es gibt auch Argumente dagegen – und im Kanzleramt gewichtet man diese offenbar höher. Dabei geht es auch um die Fahrschule. Wer zeigt den ukrainischen Soldaten – welche die Welt mit ihrem Mut und ihrer Tapferkeit beeindrucken – wie man den «Marder» fährt? Angehörige der Bundeswehr können es nicht sein. Nato-Soldaten mitten im Konflikt? Geht nicht. Und mit einem Youtube-Tutorial ist es eben nicht getan.

Das Problem ist auch die Logistik

Dann die Logistik. «Marder» sind nur hilfreich, solange sie funktionieren. Gehen sie kaputt, braucht es Ersatzteile. Nachschub-Ketten. Und Profis, welche die Panzer reparieren können. Dafür gibt’s nicht mal Youtube-Tutorials. Der Schuss könnte also buchstäblich nach hinten losgehen. Dutzende liegengebliebene «Marder» an der Front? Eine Blamage sondergleichen für Deutschland.

Eine Gruppe um den Grünen-Aussenpolitiker Hofreiter liefert heute in der «Welt am Sonntag» eine interessante Lösungsmöglichkeit: Alle mittelosteuropäischen Nato-Länder könnten ihre Bestände an schweren Waffen aus sowjetischer Produktion in die Ukraine liefern.

Diese Waffen gibt es in Bulgarien, Rumänien oder Kroatien immer noch. Mit ihnen hätten die ukrainischen Soldaten keine Probleme – diese Systeme kennen sie. Tschechien übrigens hat das schon vorgemacht. Im Gegenzug könnten die Spender-Länder mit modernen Waffensystemen ausgerüstet werden.

Wie und wann wird Scholz entscheiden? «Wer von mir Führung bestellt, bekommt sie auch», sagte der Kanzler einst. Wer es nicht glaubt, kann es auf Youtube nachhören.

Stefan Reinhart

Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Stefan Reinhart und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 17.04.2022, 19:30 Uhr

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