Die letzten Wahllokale haben in Russland um 18 Uhr MEZ geschlossen. Damit enden die dreitägigen Präsidentschaftswahlen. Definitive Resultate gibt es noch keine, doch bereits jetzt ist klar, wer als deutlicher Sieger hervorgehen wird: Wladimir Putin.
Die Wahlen waren weder frei noch fair. Kritiker sind in Russland kaltgestellt, auch Putins Gegenkandidaten sind dem Kreml treu. Trotzdem wollte sich die Opposition gegen Krieg und gegen das Regime wieder bemerkbar machen.
Zu Besuch im Wahllokal 54
Am Komsomoskaja-Platz in Moskau gibt es gleich drei Bahnhöfe sowie das Kulturhaus der Eisenbahner. Im marmorverkleideten Inneren des Kulturhauses befindet sich das Wahllokal Nummer 54.
Um 11 Uhr morgens stehen die Urnen, die Wahlmaschinen, Wahlhelferinnen sowie einige schwer bewaffnete Polizisten bereit. Bloss fehlt das Wahlvolk. Bis auf ein paar Betagte schaut niemand im Kulturhaus vorbei.
Ältere Menschen gehören in der Regel zu Putins Wählerschaft. Doch man spürt keine Begeisterung für den Bisherigen. Eine richtige Auswahl an Kandidaten gebe es nicht, sagt der 77-jährige Lew. Er habe den Kommunisten gewählt. Lew wünscht sich Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Impressionen aus dem Wahllokal 54 in Moskau
Vera, 75, hat Putin gewählt. «Unser Präsident ist der fähigste Kandidat», sagt sie. Darauf angesprochen, was sie sich von seiner nächsten Amtszeit erhoffe, sagt sie: «Ich will Frieden.»
Viele Menschen in Russland glauben, Putin werde gegen die Ukraine einen schnellen Sieg erreichen. Doch überzeugt, dass die Ziele der sogenannten Spezialoperation um jeden Preis erfüllt werden müssten, sind bei weitem nicht alle.
Der Leiter des Wahllokals heisst Afanasij Roschtschin. Ungefragt versichert er, dass hier alles mit rechten Dingen zugehe. «Selbst wenn der Präsident hierherkäme und mir sagen würde, wie ich meine Arbeit zu tun hätte, ich würde nicht auf ihn hören», sagt er. Sein einziger Chef sei das Gesetz.
Hoffnung auf eine andere Zukunft
Am Mittag kommt plötzlich Betrieb in das Wahllokal, es erscheinen auch viele junge Leute. Die Opposition hatte dazu aufgerufen, als Zeichen des Protests am Mittag wählen zu gehen, wenn man gegen Putin ist. Es entsteht eine Warteschlange vor dem Kulturhaus. «Es ist ermutigend, alle diese Leute zu sehen», sagt Maxim. Wenn man sich nur online mit Gleichgesinnten austausche, werde man einsam. Er habe Jean-Paul Sartre gewählt, fügt er hinzu.
Wir würden gerne anders leben.
Igor und Anja sind nicht wirklich zum Wählen gekommen. «Es geht eher darum, unsere Haltung zu zeigen», sagt Igor. «Und das können wir nur noch so.» Im Wahllokal habe man sie dazu bringen wollen, elektronisch zu wählen, sagen sie, was aber anfälliger für Fälschung sei. Als sie ihren Zettel ausgefüllt habe, habe ihr ein Polizist über die Schulter geschaut, erzählt Anja.
Michail ist mit seiner kleinen Tochter aus der Stadt Kostroma hergefahren, etwa fünf Autostunden von Moskau, um die Aktion zu erleben. «Ich will ihr zeigen, dass es trotz allem in Russland noch Andersdenkende gibt», sagt er sichtlich aufgewühlt. Warum er den Protest unterstütze? «Wir würden gerne anders leben», sagt Michail.