- Kein Scheitern zwar, dafür konstruktiv, aber auch kein Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien vor dem EU-Gipfel Mitte Dezember .
- Kompromisse sind bei zwei von drei Knackpunkten möglich: Für die Bezahlung der Schlussrechnung und die rechtlichen Garantien für EU-Bürger in Grossbritannien.
- Strittig ist der dritte Punkt zur Irland-Frage und wie zukünftige Grenzkontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden können.
Nach einem Spitzentreffen in Brüssel haben die Europäische Union und Grossbritannien keine abschliessende Einigung in den Brexit-Verhandlungen erzielt. «Dies ist kein Scheitern», sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach mehrstündigen Beratungen mit der britischen Premierministerin Theresa May.
Beide Seiten äusserten sich zuversichtlich, dass vor dem EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember die strittigen Fragen geklärt werden können. Juncker sagte, die Verhandlungen sollten noch in dieser Woche fortgesetzt werden.
«Trotz unserer Bemühungen und erheblicher Fortschritte, die wir in den vergangenen Tagen bei den drei Hauptthemen erreicht haben, war es nicht möglich, heute schon eine vollständige Einigung zu erzielen», sagte Juncker. Zwei oder drei Punkte seien noch offen.
Das Treffen sei offen und konstruktiv verlaufen, sagte Juncker nach den Beratungen mit May. «Sie ist eine harte Verhandlerin – und keine einfache. Sie verteidigt den Standpunkt Grossbritanniens mit all der Energie, die wir von ihr kennen.»
May äusserte sich ganz ähnlich. «Wir hatten heute ein konstruktives Treffen. Wir haben hart verhandelt und eine Menge Fortschritte erreicht.» Es sei klar, dass man gemeinsam weiter vorangehen wolle, sagte die Regierungschefin.
Einige Kompromisse stehen
Am Montagmittag schienen alle Zeichen noch auf eine Einigung zu stehen. Unterhändler hatten Kompromissformeln zu den drei wichtigsten Streitfragen gefunden. Die EU verlangt, zunächst die wichtigsten Trennungsfragen zu klären. Erst danach soll es um die künftige Beziehungen beider Seiten gehen, die Grossbritannien so rasch wie möglich klären will.
Und das sind die strittigen Punkte:
Bezahlen der Austrittsrechnung
Die EU verlangt, dass Grossbritannien alle während der Unions-Mitgliedschaft eingegangenen finanziellen Verpflichtungen erfüllt – selbst über das Austrittsdatum März 2019 hinaus. Grund ist der mehrjährige Finanzrahmen der EU, der noch bis Ende 2020 läuft. Zudem soll Grossbritannien für die entstandenen Pensionsansprüche der EU-Beamten aufkommen ebenso wie für Anteile an Krediten der Europäischen Investitionsbank (EIB).
In Brüssel wird die Gesamtsumme auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt. Im September hatte May erstmals zugesichert, London werde seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen. Die «Telegraph» hatte berichtet, London sei zur Zahlung von zwischen 45 und 55 Milliarden Euro bereit.
Zukünftige Rechte der EU-Bürger
In Grossbritannien leben 3,2 Millionen EU-Bürger, deren Rechte nach dem Brexit im März 2019 unklar sind. Die EU fordert, dass ihre Bürger nach fünf Jahren ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen und Leistungen aus dem britischen Sozial- und Rentensystem beziehen können. London stemmte sich jedoch lange gegen die Forderung, dass die EU-Bürger ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einklagen können.
EU-Aussengrenze in Irland
Die britische Provinz Nordirland würde nach dem Brexit durch eine EU-Aussengrenze von Irland getrennt. Dies hätte auch Auswirkungen auf Bestimmungen des sogenannten Karfreitags-Abkommens, das den Nordirland-Konflikt beendet hatte. Erst das Zusammenwachsen der Insel in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum hat die früher so ausgeprägten Konflikte gelindert.
Die EU möchte deshalb eine «harte Grenze» mit strengen Pass- und Güterkontrollen auf der Insel vermeiden. Irland fordert konkrete Garantien von Grossbritannien und die EU will ihre Entscheidung von einer Zustimmung Irlands abhängig machen.
Nur wenn es «ausreichende Fortschritte» bei den genannten drei Themen gibt, will der EU-Gipfel Mitte Dezember in Phase zwei der Austrittsgespräche zu den künftigen Beziehungen gehen.
Phase II – Zollunion und EU-Binnenmarkt
Mit dem Brexit will Grossbritannien auch aus der Zollunion und dem EU-Binnenmarkt austreten, gleichzeitig aber ein neues Handelsabkommen erreichen. Dazu hat May eine zweijährige Übergangsphase nach März 2019 vorgeschlagen, während dieser alles bleiben soll wie bisher.
Gibt der EU-Gipfel Mitte Dezember grünes Licht für Phase zwei, will die EU sofort loslegen können. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten deshalb im Oktober beschlossen, sich zumindest schon «intern» auf die Gespräche über die künftigen Beziehungen vorzubereiten. Daran arbeiten bereits mehrere Arbeitsgruppen.