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Drahtzieher im Hintergrund Putins Wahlkampfleiter wird als sein Nachfolger gehandelt

Russlands Wahlen sind sorgfältig inszeniert. Dafür sorgt Sergej Kirijenko. Er gilt als möglicher Nachfolger Putins.

Letzte Woche ging das internationale Jugendfestival in Sotschi zu Ende. Die bombastische Schlussfeier war ein Hauptthema im russischen Staatsfernsehen. Das Festival organisiert hat Sergej Kirijenko, ein kleiner, glatzköpfiger Mann mit Brille. Genauso unscheinbar wie sein Auftreten ist auch der Jobtitel des 61-Jährigen: Stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung Russlands.

Mächtiger Politchef

Doch der Schein trügt: Kirijenko ist Putins Innenpolitikchef. Er sorgt dafür, dass die Wahlen in Russland im Sinne des Kremls über die Bühne gehen. Kirijenko kontrolliert die Parteien und kuratiert die Kandidatenlisten. Und er organisiert Events wie das Festival, das Putins Russland als Sehnsuchtsort für junge Menschen aus aller Welt darstellt.

Sergej Kirijenko: Werdegang eines Opportunisten

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Putin spricht mit Kirijenko
Legende: Kirijenko (links) ist Putins Innenpolitikchef. imago images/Russian Look (20.04.2017)

Sergej Kirijenko agiert am liebsten im Hintergrund. Doch schon vor 25 Jahren stand er im Rampenlicht. Er war ein Verbündeter des liberalen Politikers Boris Nemzow, der 2015 unweit vom Kreml ermordet wurde.

Nemzow brachte Kirijenko in den 1990ern nach Moskau, wo dieser als talentierter Reformer galt und unter Präsident Boris Jelzin zum Ministerpräsidenten ernannt wurde.

Nach nur vier Monaten musste er wegen der Finanzkrise in Russland zurücktreten. Trotzdem war Kirijenko bei einem folgenreichen Entscheid dabei: Auf Anweisung Jelzins ernannte er den damals unbekannten Wladimir Putin zum Chef des Inlandgeheimdiensts.

Nachdem Putin in den Kreml gezogen war, bewährte sich Kirijenko als dessen Vertreter in der Wolgaregion. Der liberale Reformer erfand sich als loyaler, effizienter Technokrat neu. Dass sich Kirijenko ins System Putins integriert hat, erklären alte Weggefährten mit Opportunismus.

Kirijenko macht das Beste aus seinem Posten als Politchef im Kreml, den er seit 2016 innehat. Er hat seinen Einflussbereich laufend ausgebaut: An den Unis verbreiten seine Leute Putins Staatsideologie, sie betreuen auch die Propaganda im Internet. Kirijenkos Sohn ist gar der CEO des russischen Facebook, Vkontakte.

«Die richtigen Leute auf dem richtigen Posten können jede Aufgabe lösen», sagte Kirijenko 2018 über eines seiner Projekte, die Führungsschule «Leader Russlands». Das scheint er sich zu Herzen genommen zu haben: Über sein Amt betreibt er ein Netzwerk an Eliteschulen, viele Abgänger werden dann zu Spitzenbeamten. So schleust Kirijenko treue Gefolgsleute in jeden Bereich des russischen Staates.

Statthalter im Donbass

Doch sein wohl bedeutendster Karriereschritt war seine Ernennung zum Statthalter der besetzten Ostukraine. Dort organisierte er die Scheinreferenden, mit denen der Kreml die rechtswidrige Annexion kaschieren wollte, und dreht dramatische Videos von seinen Besuchen an der Front.

Bisher agierte Kirijenko geschickt im putinschen System der konkurrierenden Eliten aus Wirtschaft, Militär und Geheimdienst. Doch seit dem Krieg konzentriert sich die Macht im Staat immer mehr auf Putins Person. Dank seiner Rolle in der Ukraine hat Kirijenko nun direkten Zugang zur wichtigsten Ressource in der russischen Politik: Putins Aufmerksamkeit.

Kirijenko, der sich zuvor kaum für Aussenpolitik interessierte, übernimmt nun Putins imperiale Rhetorik. Die Leute im Donbass hätten jahrelang ihr Recht verteidigen müssen, Russisch zu sprechen, sagte er in einer Rede im besetzten Mariupol. Teilweise gibt Kirijenko auch Ideen vor, die Putin dann selbst übernimmt. 

Dem loyalen Technokraten werden Ambitionen auf die Nachfolge Putins nachgesagt. Spekuliert wird, er wolle nach den Wahlen in ein ruhigeres Amt wechseln – aber die Kontrolle über sein Netzwerk behalten, indem er einen treuen Nachfolger als Politchef im Kreml ernennt. Ob er das darf, hängt auch von den Wahlen ab – ob Putin die angestrebten 80 Prozent der Stimmen erhält. Zumindest für Sergej Kirijenko also könnten diese Wahlen zur Zitterpartie werden.

Echo der Zeit, 13.03.2024, 18:00 Uhr

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