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Drohende Eskalation um Taiwan Warum es China bei Muskelspielen belassen dürfte – vorerst

Der Besuch dauerte keine 24 Stunden, aber er sorgte für sehr viel Aufregung: Am Dienstagabend landete Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in Taiwan. Heute traf sie sich mit der taiwanesischen Präsidentin, gab eine Pressekonferenz und flog wieder ab. In China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, ist die Verärgerung über diese Visite gross. Peking reagiert mit einem Militärmanöver und kündigt weitere an. Simona Grano, Sinologin an der Universität Zürich, erklärt, ob jetzt die ganz grosse Eskalation droht.

Simona Grano

Sinologin, Universität Zürich

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Die Sinologin Simona Grano ist Privatdozentin an der Universität Zürich. Sie leitet dort das «Taiwan Studies»-Projekt und beschäftigt sich mit China-Fragen.

SRF News: Wie beurteilen Sie die militärischen Massnahmen, die China ergreift?

Simona Grano: Eine Stunde nach Pelosis Ankunft kündigte China an, dass die Volksbefreiungsarmee diese Woche eine Reihe militärischer Übungen in der Luft und auf See rund um Taiwan durchführen werde. Die schärfste Reaktion ist aber in den kommenden Wochen zu erwarten. Diese könnte weitere Militärmanöver in der Taiwainstrasse und auch Kommunikationsunterbrechungen umfassen.

Wenn es zu einem Angriff von China auf Taiwan kommt, wird das meines Erachtens erst nach dem Parteikongress im Herbst sein.

Dazu könnten verschärfte Wirtschaftssanktionen, Handelsaussetzungen und Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen oder sogar die Blockade von Taiwans Häfen kommen. Es könnten auch kleine, von Taiwan kontrollierte Inseln im umliegenden Meer besetzt werden.

Wie gross ist die Gefahr, dass China Taiwan angreifen wird und die schon lange angestrebte Wiedervereinigung umsetzt?

Im Moment können wir eher symbolische Militärmanöver erwarten. Auf dem Parteikongress vom Herbst wird Xi Jinping sehr wahrscheinlich für eine dritte Amtszeit bestätigt. Es ist derzeit in seinem Interesse, die Lage ruhig zu halten. Es war ein schwieriges Jahr für Xi und China. Auch wegen der wirtschaftlichen Rezession, die durch Xis Null-Covid-Politik verursacht wurde. Die Immobilienkrise spitzt sich weiter zu und die Jugendarbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekordhoch. Wenn es zu einem Angriff von China auf Taiwan kommt, wird das meines Erachtens erst nach dem Parteikongress im Herbst sein.

Könnte Xi nicht gerade wegen der innenpolitischen Probleme ein Interesse daran haben, die Spannungen mit Taiwan eskalieren zu lassen?

Durchaus. Das hätte aber Auswirkungen auf Chinas Innenpolitik und die soziale Stabilität im Land. Taiwans Wirtschaft würde zerstört werden, seine Investitionen auf dem chinesischen Festland würden zusammenbrechen; es arbeiten ungefähr eine Million Taiwanesen in der Volksrepublik China.

Die Taiwan-Frage ist zu einem wichtigen Thema der US-Politik geworden. Seit der Trump-Ära hat sich die Frage vollständig internationalisiert. Das ist das Letzte, was China und Xi wollen.

Mit ziemlicher Sicherheit würden die liberalen Demokratien und andere Länder Sanktionen gegen China verhängen. Auch ohne diese Sanktionen würden Investitionen und Handel mit China massiv beeinträchtigt werden. Das würde zu erheblicher Arbeitslosigkeit und sozialer Instabilität führen. Das könnte die Kommunistische Partei Chinas noch mehr gefährden.

China hat Wirtschaftssanktionen gegen Taiwan verhängt. Wie hart wird es davon getroffen?

Das ist noch offen. Taiwanesische Beamte sind noch dabei, den potenziellen Schaden des chinesischen Drucks zu bewerten. Sie sind sich aber einig, dass der Schaden sehr hoch sein dürfte.

Hat Pelosi Taiwan mit ihrem Besuch also eher geschadet?

Das würde ich nicht sagen. Es gibt sogar Stimmen, dass Taiwan in dieser Situation der grosse Gewinner ist. Die Taiwan-Frage ist zu einem wichtigen Thema der US-Politik geworden. Seit der Trump-Ära hat sich die Frage vollständig internationalisiert. Das ist das Letzte, was China und Xi wollen. Insbesondere in einer Situation der eigenen wirtschaftlichen Schwäche.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 03.08.2022, 18 Uhr ; 

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