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Drohende Hungersnot «Nichts und niemand kommt mehr nach Gaza»

Die Lage für die Menschen im Gazastreifen ist katastrophal. Weite Teile des Gebiets sind zerstört, es fehlt an medizinischer Versorgung, an Hygieneartikeln und an Nahrung. Die UNO konnte kürzlich zwar «bescheidene Fortschritte» bei der Versorgung der Bevölkerung verzeichnen.

Doch nun ist Israel in die Stadt Rafah eingedrungen und hat den wichtigen Grenzübergang geschlossen, über den Güter eingeführt werden. Hilfsorganisationen warnen vor einer drohenden Hungersnot, wie Martin Rentsch vom UNO-Welternährungsprogramm (WFP), bestätigt.

Martin Rentsch

Mediensprecher UNO-Welternährungsprogramm

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Martin Rentsch ist seit 2021 Sprecher des Berliner Büros des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP). Zuvor arbeitete er sieben Jahre beim Flüchtlingshilfswerks der UNO.

SRF News: Inwiefern hatte sich die Lebensmittelversorgung im Gazastreifen im vergangenen Monat zuerst verbessert?

Martin Rentsch: Wir haben kleine Fortschritte gemacht. Wir konnten mehr Konvois in den Norden bringen, wo die Hungersnot am schlimmsten drohte. Wir konnten dort die Nahrungsmittelsysteme wieder so aufbauen, dass wir Bäckereien eröffnen konnten, die Brot verteilt haben.

Durch den Angriff auf Rafah wird die verbesserte Hilfssituation wieder rückgängig gemacht.

Wir konnten dort auch den Hafen nutzen und den Grenzübergang im Norden. So konnte die Ernährungssituation verbessert werden. Doch durch den Angriff auf Rafah wird die verbesserte Hilfssituation wieder rückgängig gemacht. Wir stehen im Prinzip wieder am Anfang.

Welche Folgen hat der geschlossene Grenzübergang in Rafah?

Man muss sich vor Augen führen, dass seit dem 6. Mai nichts und niemand mehr nach Gaza hinein- oder hinauskommt. Das heisst, keine Nahrungsmittel und vor allem auch keinen Treibstoff. Und ohne Treibstoff können Sie keine Lastwagen und keine Generatoren betreiben und sie können kein Wasser entsalzen. Auch Bäckereien funktionieren dann nicht mehr und im Prinzip sitzen alle fest, inklusive unserer Helferinnen und Helfer.

Die USA bauen vor der Küste zum Gazastreifen einen schwimmenden Hafen. Würde dieser Entlastung bringen?

Jeder Weg, der Hilfe in den Gazastreifen bringt, ist uns recht. Wir brauchen alles, was wir kriegen können, um irgendwie Hilfe nach Gaza zu bringen und die Hungersnot abzuwenden. Auch dieser Hafen kann helfen. Aber man wird Hilfsgüter in grossem Stil nicht effizient im Gazastreifen verteilen können, ohne die Strasse zu benutzen.

Wenn mehr Grenzübergänge geöffnet werden, ist es für uns möglich, die Hilfe an notleidende Menschen zu verteilen.

Deswegen ist die Strasse immer noch der Hauptweg und es braucht Übergänge, um Hilfe auf der Strasse nach Gaza hineinzubringen. Die Checkpoints innerhalb von Gaza müssen vereinfacht werden, damit man Hilfe an notleidende Menschen verteilen kann.

Wie stellen Sie sicher, dass die Hilfslieferungen tatsächlich zu den Menschen gelangen?

Wir brauchen auf jeden Fall sichere Verteilungsmöglichkeiten. Wenn wir Hilfe verteilen möchten, muss das geordnet passieren. Wenn Menschen jedoch verzweifelt sind, wenn sie Tage und Wochen nichts gegessen haben, versuchen sie auch gewaltsam, sich Hilfe anzueignen. Dann gibt es Menschen, die versuchen, Hilfsgüter abzuzweigen und die Verzweiflung befördert solche Mechanismen. Das heisst: Wenn mehr Grenzübergänge geöffnet werden und mehr Hilfe hereinkommt, ist es für uns möglich, die bewährten Prozeduren anzuwenden, um die Hilfe wirklich in die Hände der notleidenden Menschen zu verteilen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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Echo der Zeit, 11.05.2024, 18:00 Uhr ; 

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