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Drohender Krieg mit Russland Den Preis einer Invasion hoch treiben: Kiew plant den Ernstfall

Die ukrainische Armee ist kriegserprobt – einer direkten Konfrontation mit Russland hält sie aber nicht stand.

Seit Wochen steigen die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. Der Kreml hat an der Grenze zum Nachbarland gegen 100'000 Soldaten zusammengezogen – und verlangt politische Zugeständnisse vom Westen. Amerikaner und Europäer drohen Moskau mit Sanktionen, sollte es die Ukraine angreifen.

Klar ist aber auch: Militärisch hätte Russland im Fall eines Krieges wohl leichtes Spiel. Die ukrainische Armee könnte einer Aggression erst nur wenig entgegensetzen. Allerdings rüsten die Ukrainer zum Guerillakrieg.

Erst kommen Kampfjets und bombardieren Munitionslager, Boden-Boden-Raketen zerstören Kommando-Zentralen, auch Bodentruppen kommen unter heftiges Feuer. Nach kürzester Zeit kann die Armee keinen organisierten Widerstand mehr leisten. Abgeschnittene Verbände kämpfen zwar weiter – aber wenn die Munition ausgeht, hat auch das keinen Sinn mehr. Die Panzer des Feindes rollen ungehindert ins Land.

Die Krim kampflos den Russen überlassen

Dieses Szenario eines russischen Angriffs auf die Ukraine stammt nicht aus einer Moskauer Propagandaküche. Es stammt von General Kyrylo Budanov, dem Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Der Ukrainer sieht also schwarz für den Fall eines Krieges: Sein Land hätte gegen die russische Übermacht keine Chance.

Ukrainischer Soldat
Legende: Die ukrainische Armee hätte der russischen Übermacht nichts entgegenzusetzen – das weiss man auch in Kiew. Nach der Invasion könnten die Russen aber in einen verlustreichen Guerillakrieg gezogen werden. Keystone

Die ukrainische Armee hat zwar in den vergangenen Jahren viel an Schlagkraft gewonnen. Als 2014 russische Sondereinheiten die Krim besetzten, fiel kein einziger Schuss. Die Ukrainer gaben einfach klein bei.

Kampferprobt und modernisiert

Das wäre heute nicht mehr so. Die ukrainische Armee ist professioneller geworden. Sie hält seit Jahren die Front im Osten gegen die von Moskau unterstützten Separatisten. Hunderttausende Ukrainer haben inzwischen Kampferfahrung gesammelt. Zudem wurden riesige Summen in die Ausrüstung investiert – auch ausländisches Geld. Allein die USA haben seit 2014 Militärhilfe in der Höhe von 2.5 Milliarden Dollar geleistet.

Inzwischen verfügen die Ukrainer nicht nur über neue Uniformen, moderne Kommunikationssysteme und Überwachungsdrohnen. Die Amerikaner haben ihnen auch moderne Panzerabwehrraketen geliefert, aus der Türkei beschaffte sich Kiew hocheffiziente Kampfdrohnen.

Keine Chance gegen russische Übermacht

Dennoch: Dieses Arsenal reicht nirgends hin, wenn Russland angreift. Die russische Armee hat nicht nur ungefähr viermal mehr Soldaten als der Nachbar, es ist vor allem technologisch überlegen. Moskaus Luftwaffe würde innert kürzester Zeit die Lufthoheit gewinnen. Die Russen könnten moderne Panzer, Marschflugkörper oder U-Boote einsetzen. In weniger als einer Stunde wäre die ukrainische Armee ausgeschaltet, mutmassen manche Militärexperten.

Die Frage ist, was dann passiert. Zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer bereiten sich im Moment genau auf dieses Danach vor: auf einen Guerillakrieg gegen allfällige russische Besatzer. Geschäftsleute, Lehrerinnen oder Taxifahrer trainieren in ihrer Freizeit schiessen, Häuserkampf, Sabotageakte.

Den Preis hochtreiben

Motiviert ist die Truppe, die vom Verteidigungsministerium koordiniert wird – allerdings bisher auch schlecht ausgerüstet. Es bleibt deshalb unklar, was die staatlich organisierte Bürgerwehr im Falle eines Falles bewirken könnte.

Ziel der ukrainischen Strategie jedenfalls ist es, den Preis einer allfälligen Besatzung für die Russen in die Höhe zu treiben. Der Kreml soll dreimal überlegen, bevor er seine Armee ins Nachbarland einmarschieren lässt.

Echo der Zeit, 11.01.2022, 18 Uhr

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