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Verhandlungen in Genf USA – Russland: ein paar Grad weniger frostig

Weder die russische noch die amerikanische Seite unternahm auch nur den Versuch einer Charmeoffensive. Vielmehr gab es bis zuletzt gegenseitige Schuldzuweisungen und Drohungen. Zum Auftakt ihrer Gespräche posierten die beiden Chefunterhändler weit auseinander für die Kameras. Die Bilder signalisierten bestenfalls minimale diplomatische Höflichkeit.

Ob US-Vizeaussenministerin Wendy Sherman und ihr russischer Amtskollege Sergej Ryabkow lächelten, war wegen ihrer Masken nicht zu sehen. Der eher säuerliche Gesichtsausdruck der beiden deutete indes nicht darauf hin. Am Ende sprachen beide zu den Medien, zwar gleichzeitig, aber nicht gemeinsam, vielmehr in ihrer jeweiligen Uno-Botschaft in Genf.

Nicht das erste Treffen der Protagonisten

Dabei kennen sich Sherman und Ryabkow bestens. Schon zweimal sassen sie zuvor in Genf zusammen zum russisch-amerikanischen Strategiedialog, den die beiden Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin im vergangenen Juni vereinbart hatten. Und schon früher waren beide an der Aushandlung des Atomabkommens mit dem Iran beteiligt. Beide gehören in ihrer jeweiligen Hauptstadt zur Spitzengarnitur der Diplomatie. Beide gelten nicht als Hardliner.

Dennoch ist wegen des tiefen Grabens im neuen Ost-West-Konflikt bereits positiv zu vermerken, dass keine Seite Türen-knallend den Verhandlungsraum verliess. Auch die weiteren wichtigen Gesprächsrunden diese Woche sollen stattfinden wie geplant. Die Amerikaner sagen sogar, sie möchten weiterhin mit den Russen im Rahmen des strategischen Dialogs in Genf verhandeln. Die Russen machen das abhängig vom Verlauf der weiteren Gespräche diese Woche.

Sattsam bekannte Positionen

Zunächst wurden in Genf jedoch die sattsam bekannten Positionen repetiert: die US-Forderung nach einem sofortigen Abzug der mutmasslich 100'000 einsatzbereiten russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Die russische Forderung nach einem vertraglich vereinbarten Verzicht auf jegliche künftige Nato-Erweiterung und nach einem Abzug von Nato-Truppen und -Waffen sogar aus Mitgliedstaaten der Allianz. Bei diesen Fragen gab es nicht mal eine Annäherung. Und völlig unklar bleibt, ob die Russen auf das US-Angebot eingehen, über Rüstungskontrolle allgemein und Raketenstationierungen konkret zu verhandeln, ausserdem über weniger Militärmanöver und mehr gegenseitige Transparenz.

Dennoch erklärten am Ende Sherman und Ryabkow nach ihrem achtstündigen Treffen, dem ein gemeinsames Abendessen voranging, dass man nun wenigstens die Gegenseite ein bisschen besser verstehe. Beide bezeichnen die Genfer Gespräche als freimütig, professionell, direkt – und vor allem als nützlich.

Der Optimismus hat an einem kleinen Ort Platz

Dass die Gefahr eines russischen Einmarschs in die Ukraine nun geringer geworden ist, lässt sich nicht sagen, obschon der russische Chefunterhändler betonte, niemand müsse etwas befürchten. Gebannt ist das Risiko jedenfalls nicht, solange Russlands Streitkräfte massiert an der Grenze stehen. Viel hängt ab von den weiteren Gesprächen diese Woche. Genf war ja nur der Auftakt einer diplomatischen Kaskade. Weiter geht es Mitte Woche in Brüssel bei der Nato, wo die Europäer ebenfalls mit am Tisch sitzen werden. Und tags darauf bei der OSZE, wo erstmals auch das hauptbetroffene Land, die Ukraine, dabei sein wird.

Das Ergebnis dieser weiteren Verhandlungsrunden mit Russland ist völlig offen. Doch der Optimismus hat an einem kleinen Ort Platz.

 

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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