Ukrainische Angriffe auf Luftwaffenstützpunkte tief im Landesinnern von Russland sorgen für Erstaunen. Wahrscheinlich setzte die Ukraine dafür Drohnen ein. Zwar blieb der Schaden offenbar gering – doch mit den Angriffen werde den russischen Bürgern immer klarer vor Augen geführt, dass Krieg herrscht, sagt Russlandkenner David Nauer.
SRF News: Wie erwiesen ist es, dass Drohnen aus der Ukraine die Explosionen auf den russischen Luftwaffenstützpunkten verursacht haben?
David Nauer: Es ist nicht hundertprozentig bewiesen, doch es ist sehr wahrscheinlich. So sagen die Russen, es seien ukrainische Drohnen gewesen, und auch die Ukrainer sprechen davon, dass sie über kampfbereite Drohnen verfügen würden. Experten vermuten, dass die Ukraine alte, sowjetische Drohnen «frisiert» hat.
Was bedeutet die Tatsache, dass die Drohnen 600 Kilometer über russisches Territorium fliegen konnten, über die russische Flugabwehr aus?
Die Flugabwehr scheint schwere Lücken aufzuweisen. Insbesondere tief fliegende Objekte werden von der russischen Flugabwehr offenbar schlecht erkannt – und können damit auch nicht abgeschossen werden.
Tief fliegende Objekte werden von der russischen Flugabwehr offenbar schlecht erkannt.
Es ist ein altes Problem: 1987 landete der deutsche Hobbypilot Matthias Rust mit seiner Cessna unweit des Roten Platzes in Moskau, ohne von der sowjetischen Radarüberwachung erkannt worden zu sein. Auch er hatte damals gesagt, er sei bewusst tief geflogen, um von den Russen nicht entdeckt zu werden. Offenbar machen die Ukrainer jetzt dasselbe mit ihren Drohnen.
Könnte die Ukraine Russland jetzt also im grossen Stil angreifen, macht es aber nicht?
Die Ukrainer sind mit den Waffen, über die sie derzeit verfügen, sicher nicht in der Lage, im grossen Stil russisches Territorium anzugreifen. So besitzen sie offenbar nur ein paar Dutzend Exemplare der alten sowjetischen Drohnen. Das reicht bloss für Nadelstiche.
Für Grossangriffe auf Russland bräuchten die Ukrainer moderne westliche Waffensysteme.
Für Grossangriffe auf Russland bräuchten die Ukrainer moderne westliche Waffensysteme, welche die Amerikaner aber bewusst nicht liefern. Washington befürchtet, dass die USA sonst in eine direkte Konfrontation mit Russland hineingezogen werden könnten.
Wie reagiert der Kreml auf die jüngsten Angriffe der Ukrainer?
Vordergründig reagiert er entspannt, doch die Angriffe sind für den Kreml trotzdem ein Problem. Denn so kommt der Krieg zu den Russen nach Hause, er findet jetzt also auch auf russischem Territorium statt.
Weitere Angriffe könnten die russische Kriegsmaschinerie stören und Auswirkungen auf den Kriegsverlauf haben.
Hinzu kommt, dass die Ukrainer nicht irgendwelche Ziele angegriffen haben, sondern unter anderem jenen Flugstützpunkt, von dem aus die Russen ihre Langstreckenbomber starten, um die Ukraine mit Raketen zu beschiessen. Offenbar sollen tatsächlich ein oder zwei dieser Bomber beschädigt worden sein. Sollte es zu weiteren Angriffen der Ukrainer kommen, könnte das die russische Kriegsmaschinerie stören und Auswirkungen auf den Kriegsverlauf haben. Auch wenn es nur Nadelstiche sind: Sie sind durchaus schmerzhaft für Russland.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.