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Krieg in der Ukraine Russland ist angeschlagen – und muss weiterkämpfen

Der Angriffskrieg in der Ukraine ist für Russland mit schweren personellen und materiellen Verlusten verbunden. Das Regime könne sich ein Ende des Krieges innenpolitisch gar nicht leisten, sagt Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Margarete Klein

Militär-Expertin

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Margarete Klein ist Forschungsgruppenleiterin Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) am Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit. Sie forscht zur Aussen- und Militärpolitik Russlands sowie Moskaus Verhältnis zur Nato.

SRF News: Russland scheint angeschlagen. Doch wie stark und wie nachhaltig?

Margarete Klein: Russland ist durchaus geschwächt. Wirtschaftlich wird das erst mittelfristig sichtbar. Militärisch ist das Land durch hohe personelle und materielle Verluste bereits deutlich geschwächt. Die offiziellen russischen Zahlen von knapp 6000 Toten sind nicht haltbar. Schätzungen gehen von 70'000 bis 90'000 verwundeten, getöteten oder gefangenen russischen Soldaten aus. Viele Kräfte aus einsatzbereiten Einheiten sind gefallen, was künftige Militäreinsätze beeinflussen dürfte.

Russische Rekruten.
Legende: Eingezogene junge Russen erhalten am 23. November 2022 in der Stadt Kasan im Südwesten Russlands ihre Ausrüstung. Die Kampagne im Rahmen der Teilmobilmachung soll noch bis Ende Jahr dauern. imago images

Auch führte die Teilmobilmachung nicht zur qualitativen Verbesserung, denn die meisten Eingezogenen werden weder adäquat trainiert noch ausgerüstet. Sie gehen als Kanonenfutter an die Front.

Warum ist die Wirtschaft trotz harter Sanktionen nicht total zusammengebrochen?

Russland kann sich anpassen. Es wird versucht, vermehrt auf Kriegswirtschaft mit höherer Rüstungsproduktion umzustellen. Dazu kommen Rücklagen aus der Zeit der hohen Öl- und Gaseinnahmen. Es gibt aber vor allem technologisch weniger Innovationsimporte, weil die EU als grösster Modernisierungspartner wegfällt. China kann die Lücke nicht füllen, denn von dort kommen primär Fertigprodukte gegen russische Rohstoffe.

Ist Russland durch die Schwächung weniger gefährlich?

Das kann man nicht so sagen. Das Regime muss militärische Erfolge vorlegen können, um im Inneren sein eigenes System zu legitimieren. Es kann sich Verluste eigentlich nicht leisten, womit dieser Krieg weitergehen wird. Mit grossen Verlusten kann das Regime einen Krieg nicht beenden.

Wegen der konventionellen Schwäche wird man wahrscheinlich versuchen, die westlichen Staaten auf anderer Ebene zum Einlenken zu bewegen. Dazu gehören die nukleare Karte und zunehmende Angriffe auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine. Mit dem Ziel, Fluchtbewegungen Richtung Europa zu schaffen, um dort Spaltpotenzial zu schaffen.

Bleibt Russland noch eine Bedrohung, wenn es den Krieg verliert?

Da stellt sich die Frage, was man unter «verlieren» versteht. Die Forschung über autoritäre Regime zeigt, dass sie ganz gut auch lange Kriege überstehen können, während nur desaströse Niederlagen regimegefährdend wirken. Entsprechend ist vorstellbar, dass dieser Krieg von Russland mit heisseren und kühleren Phasen weitergeführt wird.

Das Regime hat zudem eine extrem hohe Fähigkeit, Opposition und Proteste nach innen zu unterdrücken. Die Sicherheitsdienste wurden in den letzten Jahren massiv ausgestattet. Für innere Sicherheit soll es in den nächsten beiden Jahren noch 50 Prozent mehr Mittel geben.

Wie soll der Westen mit der anhaltenden Bedrohung umgehen?

Militärisch geht es darum, die Ukraine zu unterstützen, damit die russische Führung nicht meint, mit militärischer Gewalt erfolgreich ihre Interessen gegen Völkerrecht und internationale Abkommen umsetzen zu können. Die europäische Sicherheitsordnung braucht zugleich eine verlässliche Rückversicherung für die Mitgliedstaaten im Osten der Nato. Gegenüber hybriden Bedrohungen müssen vor allem die europäischen Staaten versuchen, die Geschlossenheit untereinander zu stärken.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 01.12.2022, 18:00 Uhr ; 

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