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Ehemaliger Insasse in Russland «Nicht alles hinter der russischen Grenze ist Feindesland»

Der deutsch-russische Doppelbürger German Moyzhes sass zwei Monate lang in einem Gefängnis des russischen Geheimdienstes. Ende Mai war er in St. Petersburg festgenommen worden. «Landesverrat», lautete die Anklage.

Der wahre Grund: Wladimir Putin brauchte weitere politische Gefangene, um den in Deutschland verurteilten Geheimdienstagenten und Mörder Wadim Krassikow freizupressen. Putins Kalkül ging auf: Am 1. August kam es zum Gefangenenaustausch mit dem Westen. German Moyzhes lebt seither wieder in seiner alten Heimat Köln. Wut auf den Kreml verspüre er nicht, sagt er im Gespräch mit SRF anlässlich eines Besuchs an der Universität St. Gallen.

German Moyzhes

Jurist

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German Moyzhes ist deutsch-russischer Doppelbürger. Er kam 1985 in Russland zur Welt und zog 1995 mit seiner Familie nach Köln. Die letzten zehn Jahre verbrachte der Jurist in St. Petersburg, wo er ein Unternehmen leitete, das russische und ausländische Bürgerinnen und Bürger bei aufenthaltsrechtlichen Fragen unterstützt. Der 39-Jährige ging ausserdem verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten nach, indem er etwa für die jüdische Gemeinschaft Konzerte in der Petersburger Synagoge organisierte. Bekannt ist Moyzhes in der Stadt auch als Veloaktivist. Der von ihm gegründete Verein setzt sich – oft in Zusammenarbeit mit den Stadtbehörden – dafür ein, aus der Millionenmetropole St. Petersburg eine Velostadt zu machen.

SRF: Wie haben Sie die Festnahme und die anschliessende Inhaftierung im berüchtigten Lefortowo-Gefängnis in Moskau erlebt?

Moyzhes: Die Festnahme und die ersten paar Stunden danach waren hart, auch wenn ich nicht ins Detail gehen kann. Ich konnte mich aber rasch beruhigen und durfte meine Familie telefonisch informieren. Es kam eine Pflichtanwältin, die versucht hat, mir zumindest meine Rechte zu erklären und mich moralisch zu unterstützen.

Ich bin ein sehr kooperativer Mensch und deswegen sollte nicht von mir auf alle anderen geschlossen werden, wenn ich sage, dass die Bedingungen und der Umgang ziemlich ordentlich waren. Das grösste Problem war die Isolation. Immerhin bekam ich nach zehn Tagen in Einzelhaft einen Zimmergenossen. Andere Häftlinge sah man aber nie. Während viele Insassen keinen Kontakt zur Aussenwelt hatten, durfte ich einmal wöchentlich mit Angehörigen und Freunden telefonieren.

Verspürten Sie in dieser Zeit nie Wut gegenüber dem Regime in Moskau?  

Dieses Gefühl hatte ich weniger, auch wenn ich psychisch niedergeschlagen war. Ich habe eher gedacht: Wieso habe ich das nicht kommen sehen? Aber ich wurde ja nicht wegen meiner politischen Überzeugungen festgenommen, sondern weil man mir vorwarf, mit einem ausländischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten.

Meine Aufgabe war es deshalb, die Leute zu überzeugen, dass ich kein James Bond bin und meine Kontakte zu ausländischen Diplomaten und Organisationen nichts mit dem Geheimdienst zu tun haben. Diese Kontakte hatte ich wegen meiner ehrenamtlichen Tätigkeiten als Kulturvermittler und Veloaktivist.

Sie wirken sehr unbeschwert auf mich. Wie hat sich die Haft auf Ihre Psyche ausgewirkt?

Da muss ich eine wichtige Person nennen, der ich mein Leben lang dankbar sein werde. Mein Zimmergenosse, ein Profidieb, der über zehn Jahre im Gefängnis verbracht hat. Er hat mich psychologisch aufgebaut, indem er sagte: «Schau, dir geht es schlecht, weil du nicht mit dem Gefängnis gerechnet hast und du eine lange Strafe vor dir hast. Du musst einfach akzeptieren, dass du jetzt hier bist. Aber irgendwann wirst du frei sein, du wirst das überleben.»

Ich glaube, dass Verhandlungen sehr wichtig sind, um den Konflikt zumindest einzufrieren, damit nicht noch mehr Menschen in diesem [...] Krieg sterben.

So hat er mich jeden Tag quasi gecoacht. Auch wenn ich hoffe, irgendwann nach Russland zurückzukehren, bin ich jetzt einfach froh, hier zu sein. Freunde treffen zu können – in Köln, Berlin oder auch in Zürich.

In St. Petersburg haben Sie als Jurist eine Firma geleitet und sich für die Zivilgesellschaft engagiert. Wie geht es nun in Deutschland für Sie weiter?

Mir ist bewusst, wie viel Glück ich hatte. Es gibt aber nach wie vor viele politische Gefangene, die Hilfe brauchen, um vielleicht auch mal bei einem Austausch freizukommen. Das könnte eine Aufgabe für mich sein. Wegen meines zivilgesellschaftlichen Engagements in Russland wurde das auch hier an mich herangetragen. Ich glaube, dass Verhandlungen sehr wichtig sind, um den Konflikt zumindest einzufrieren, damit nicht noch mehr Menschen in diesem russisch-ukrainischen Krieg sterben.

Mir ist wichtig, dass man im Westen merkt, dass nicht alles schwarz-weiss ist. Nicht alles, was hinter der russischen Grenze ist, ist nur Feindesland.

Und mir geht es um die Arbeit, die auch in Russland geleistet wird, wo beispielsweise Tausende Menschen ukrainischen Flüchtlingen helfen, die nach Russland kamen, weil sie aus der Ukraine nur in den Osten flüchten konnten. Jene, die diese Arbeit leisten, können keine laute Kritik üben, weil das gefährlich ist. Mir ist wichtig, dass man im Westen merkt, dass nicht alles schwarz-weiss ist. Nicht alles, was hinter der russischen Grenze ist, ist nur Feindesland.

Das Interview führte Roger Aebli.

10vor10, 20.09.2024, 21:50 Uhr ; 

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