Es war ein emotionaler Tag. Viele hatten Tränen in den Augen, als mit sechzehn Schweigeminuten der sechzehn Opfer des Bahnhofunglücks von vor einem Jahr gedacht wurde. Zehntausende sind dafür aus dem ganzen Land nach Novi Sad gekommen. Das Unglück ist für viele Serbinnen und Serben immer noch eine offene Wunde.
Der heutige Tag war eine Gedenkveranstaltung. Keine Fahnen wurden geschwenkt, keine Parolen gerufen. Das brauchte es auch nicht. Allen ist klar, dass heute eine weitere Grossdemonstration gegen die Regierung von Aleksandar Vucic stattgefunden hat, die in den Augen der hier Anwesenden die Verantwortung für das Unglück trägt. Serbien brauche einen Neuanfang, frei von Korruption und Vetternwirtschaft, sind sie hier überzeugt, und fordern Neuwahlen.
Vucic ignoriert die Proteste
Aleksandar Vucic will von alldem nichts wissen. Anfang Woche tat er in einem Interview noch so, als wüsste er nicht, dass heute der Gedenktag ist. Die Studierenden bezeichnete er immer wieder als Terroristen.
Dass er sich heute kulant zeigte, gemeinsam mit seiner Regierung einen Gedenkgottesdienst für die Opfer besuchte und sich sogar bei den Studierenden für seine Wortwahl entschuldigte, ist reines Kalkül. Aleksandar Vucic ist einzig an seinem eigenen Machterhalt interessiert. Einen Dialog mit dem beträchtlichen Teil der Bevölkerung, der seit einem Jahr fast täglich auf die Strasse geht, will er dagegen nicht.
Keinen Ausweg in Sicht
Der heutige Tag hat gezeigt, dass die Protestbewegung weiterhin gross mobilisieren kann. Sie dürfte nicht einfach so wieder verschwinden. Die geforderten Neuwahlen kann aber nur Präsident Vucic ausrufen. Doch er zeigt keinerlei Anzeichen, dass er dies tun will. Die nächsten Wahlen sind erst für 2027 geplant.
Doch selbst wenn Neuwahlen stattfänden, wäre das nicht unbedingt die Lösung. Erstens wären die unter Vucic kaum frei und fair. Zweitens ist die Opposition schwach und hat bei den Menschen auf der Strasse kein Vertrauen.
Die Studierenden wollen im Fall von Neuwahlen daher eigene Listen mit Kandidaten und Kandidatinnen aus der Zivilgesellschaft erstellen. Doch weder ist klar, welche Namen auf diesen Listen stehen sollen, noch gibt es ein politisches Programm.
Vielleicht wäre dies aber der nächste Schritt, auch wenn mit Positionsbezügen, gerade bei umstrittenen Fragen, politische Spaltung riskiert würde. Doch mit Protest allein lässt sich der Druck auf die Regierung nicht noch weiter erhöhen. Denn ein weiteres Jahr in der Intensität des vergangenen, dürfte kaum drin liegen.