Vom Denkmal, das den einst herrschenden weissen Afrikanern gewidmet ist, sieht man eine hübsche Stadt: in der Mitte eine Kirche und rundherum herrschaftliche Gebäude. Wie die meisten solcher Denkmäler nimmt es einen ganzen Hügel für sich in Anspruch. Makana im Ostkap ist der Prototyp einer Kleinstadt auf dem Land in Südafrika.
Schweift der Blick in Richtung Horizont, sind am Rande kleinere Häuser zu erkennen. Wer sich per Auto dorthin begibt, merkt schnell, dass es eigentlich Hütten sind. Hier ist die Township.
Ein Stadtkern mit Kirche, Banken und Läden; die Township an den Ortsrand gedrängt: Die Architektur der Apartheid ist auch 30 Jahre nach deren Verschwinden immer noch allgegenwärtig in Südafrika. Auch im Ostkap, der Heimat von Nelson Mandela. Hier scheint nicht nur diese Architektur, sondern alles, was bis heute nicht klappen will, besonders augenfällig.
Das Ostkap ist die ärmste Provinz Südafrikas. Hier herrscht mit über 60 Prozent die höchste Jugendarbeitslosigkeit. In den letzten zehn Jahren haben eine Million Menschen das Ostkap verlassen.
Der Handwerker und die Korruption
Derrik Madinda ist immer noch hier. Er ist ein Handwerker mit einer Freiluftwerkstätte. Vor seinem winzigen Zwei-Zimmer-Haus stehen einige Baumstrünke, die er von der Rinde befreit, dann gebeizt und mit Kissen versehen hat. Ein Auftrag für einen Professor der nahegelegenen Universität.
Nur registrierte Kleinunternehmen haben eine Chance, öffentliche Aufträge zu erhalten.
Der 36-Jährige ist in der Gegend bekannt für seine Qualitätsarbeit. Rund acht Millionen Menschen arbeiten in der Schattenwirtschaft. Früher hatte Madinda sein Geschäft bei den Behörden angemeldet, doch blieb nach Steuern und Bankgebühren fast nichts mehr übrig.
«Nur registrierte Kleinunternehmen haben eine Chance, öffentliche Aufträge zu erhalten. Doch habe ich schnell gemerkt, dass eigentlich nur jene einen solchen Auftrag erhalten, die bereit sind, dafür Bestechungsgelder zu bezahlen. Mit dieser Kultur der Korruption will ich nichts zu tun haben.» Er fräst ein weiteres Loch in ein weisses Brett, das er in ein Fernsehgestell verwandelt. Madinda gehört zu den rund acht Millionen Menschen, die in der Schattenwirtschaft arbeiten.
30 Jahre Demokratie – Anlass zum Feiern?
Die 30 Jahre Demokratie feiern er und seine Frau Zandile Madinda nicht. Es gebe nichts zu feiern. Er sagt, die Regierung sei faul geworden. Statt Strassen zu reparieren und für eine solide Stromversorgung zu garantieren, bereichere sie sich nur selbst.
Seine Frau fügt hinzu, dass die staatlichen Schulen auf dem Land, eben für die Schwarzen, immer noch viel schlechter ausgerüstet seien als jene in den Städten. «Ich sehe keine Regierung in unserem Land. Es heisst, wir hätten eine Regierung, doch wo ist sie? Was macht sie?»
Politologe Ongama Mtimka, der an der Nelson-Mandela-Universität in Quebecha, ehemals Port Elizabeth lehrt, versteht die Ansichten des Paares. Vor allem, da die Regierung kaum etwas unternimmt, um die in der Schattenwirtschaft tätigen Menschen zu unterstützen, aus dieser herauszukommen und so an staatliche Fördergelder zu gelangen.
«Wir haben eine Regierung, die mehrheitlich aus alten, ehemaligen Freiheitskämpfern besteht, die sich weigern, Macht an die junge Generation abzugeben», erklärt er in seinem winzigen Büro. Dabei gebe es so viele innovative junge Leute in der Schattenwirtschaft, die die marode Wirtschaft ankurbeln könnten und deren Steuergelder ebenfalls dringend benötigt würden.
Dennoch sieht der Politologe Anlass zum Feiern. Die regelmässigen Stromausfälle, die immer problematischere Wasserversorgung in den Grossstädten wegen kaum gewarteter Röhren findet er zwar besorgniserregend, aber er sagt: «Südafrika ist ein Land der Widersprüche. Ja, vieles läuft schlecht, die Regierung ist korrupt, die Kriminalität läuft aus dem Ruder, doch keine andere Regierung auf der Welt hat so viele Häuser für obdachlose Menschen gebaut. Wir haben eine vielfältige Medienlandschaft und freie Wahlen.»
70 Prozent des Landes immer noch in weisser Hand
Seit dem Ende der Apartheid vor 30 Jahren löst ein Thema immer noch besonders hitzige Diskussionen aus: die Landfrage. Weisse Südafrikaner, mit etwas über sieben Prozent Bevölkerungsanteil eine verschwindende Minderheit, besitzen bis heute 70 Prozent des Landes.
Das zeigt sich auch im Ostkap, wo sich kilometerlange Orangenplantagen erstrecken, mit weissen Höfen im satten Grün. Ein Drittel der Milch wird hier produziert, ebenfalls von weissen Grossgrundbesitzern, während die Schwarze Bevölkerung, wenn nicht in der Township, dann in Rundhütten wohnt und sich wie früher zum Minimallohn auf den Feldern der Plantagenbesitzer abrackert.
Die Regierung selbst hat viel Land aufgekauft, das sie durchaus verteilen könnte. Statt es an landlose Bauern, wie beispielsweise hier im Ostkap zu geben, verteilt sie es unter sich; oft an Leute, die gar nichts von Landwirtschaft verstehen.
Politologe Mtimka hält das nicht für ideal, zumal es immer mehr Schwarze Bauern und Bäuerinnen gibt, die viel von Landwirtschaft verstehen. Gleichzeitig unterstützt er die Natur der offiziellen Landreform, die eben nicht wie in Simbabwe weisse Grossbauern von einem Tag auf den andern enteignet, sondern nach einvernehmlichen Lösungen sucht. «Darum verläuft die Reform so langsam, ja sehr langsam», erklärt er und ergänzt: «Leider kommt auch hier die Korruption ins Spiel. Die Regierung selbst hat viel Land aufgekauft, das sie durchaus verteilen könnte. Statt es an landlose Bauern, wie beispielsweise hier im Ostkap zu geben, verteilt sie es unter sich; oft an Leute, die gar nichts von Landwirtschaft verstehen.»
Kühe in der Industriezone
Zu den tausenden von Viehzüchtern, die im kommerziellen Stil einen Hof führen würden, gehört Lindile Ndimba. Spricht er von Kühen oder Schafen, beginnt er zu strahlen. Bis vor kurzem mussten sie zwischen Hochspannungsmasten im Industriegebiet von Quebecha weiden, auf staatlichem Boden. «In diesem Gebiet gibt es nicht genügend Land für all unser Vieh. Wir haben hier kein fliessendes Wasser und wenn es regnet, verwandelt sich der Boden in einen Sumpf. Etliche Kühe sind schon gestorben.»
Darum hat der umtriebige Viehzüchter und Geschäftsmann seine überlebenden Kühe und die paar Schafe auf ein grösseres, besseres Land umgesiedelt. Dafür muss er eine monatliche Pacht von 200 Franken bezahlen – für ihn ein stolzer Preis.
Leisten kann er sich das nur, weil er nebenbei noch ein Transportgeschäft führt. Während sein Hirte die Kühe und Schafe ruft, um sie zur täglichen Wanderung auf benachbarten Höfen auszuführen, sagt er nicht wütend, sondern eher resigniert: «Ich habe meinen Traum vom eigenen Hof nicht aufgegeben, wir alle in der Gegend nicht und wir sprechen auch immer wieder bei Regierungsvertretern vor. Doch diese hintergehen uns bis heute. Immer wieder versprechen sie uns Land. Wir warten bis heute geduldig.»
Vom Staat erwarten sie längst nichts mehr
In Makanda hat Handwerker Derrik Madinda das Gestell für den Fernseher fertig gezimmert. Er bringt es mit einem gemieteten Kleinlaster zur Kundin, die in einer abgelegenen Township lebt. Sie trägt Anzug und Krawatte, arbeitet am Schalter einer Bank und wohnt in einem winzigen Zimmer, das vom Doppelbett beinah vollständig ausgefüllt wird. Wie die meisten in der Township geht auch sie auf die Toilette im Hinterhof und wäscht sich in einem Becken. Das Fernsehgestell gefällt ihr sehr.
Obwohl Derrik Madinda nach Abzug der Material- und Transportkosten nur 15 Franken Gewinn bleibt, ist er stolz auf seine Arbeit. «Meine Gegenstände sprechen für mich. Nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen», betont er.
In seiner Anwesenheit bin ich glücklich. Seine Liebe gibt mir Wärme. Mit ihm habe ich alles, was ich brauche.
Seiner Frau Zandile zeigt er abends häufig seine neuesten Projekte, für die er auf seiner Facebook-Seite wirbt. Auf dem abgeschossenen Sofa, das knapp Platz hat neben dem Bett, gucken sich die beiden seine Küchen, Büchergestelle, ja ganze Häuser an. Alles von ihm gebaut. Auf die Frage, ob sie denn nicht unglücklich sei in diesen engen Wohnverhältnissen, erwidert Zandile Mdinda: «In seiner Anwesenheit bin ich glücklich. Seine Liebe gibt mir Wärme. Mit ihm habe ich alles, was ich brauche.»
In einem Land, wo nach 30 Jahren Demokratie immer weniger von der Regierung zu erwarten ist, verlassen sich die zwei auf sich selbst.