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Einst Kirche und Museum Hagia Sophia kann wieder als Moschee genutzt werden

  • Das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei hat den Weg frei gemacht, damit das berühmte Gebäude Hagia Sophia in Istanbul künftig als Moschee genutzt werden kann.

Das Gericht begründete seine Entscheidung laut der Agentur Anadolu damit, dass die Hagia Sophia Eigentum einer von Sultan Mehmet II. («Der Eroberer») gegründeten Stiftung sei. Der Sultan hatte die Hagia Sophia im 15. Jahrhundert in eine Moschee umgewandelt. Laut Stiftung sei sie als Moschee definiert und dürfe nicht anders als zu diesem Zweck genutzt werden.

Erstes Gebet am 24. Juli

Nach der Gerichtsentscheidung ordnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an, das Gebäude für das islamische Gebet zu öffnen. Das erste Gebet soll laut Erdogan am 24. Juli in der Moschee Hagia Sofia stattfinden.

Die Leitung der «Hagia Sophia Moschee» werde zudem der Religionsbehörde übergeben, steht in einem von Erdogan unterschriebenen Beschluss, den er auf Twitter teilte. «Herzlichen Glückwunsch», fügte Erdogan hinzu. Die Kritiker rief Erdogan auf, die Entscheidung zu respektieren. «Wie die Hagia Sophia genutzt wird, hat etwas mit den Souveränitätsrechten der Türkei zu tun.» Der Eintritt werde gratis sein und allen offen stehen, «für Muslime und Nichtmuslime».

Einschätzung von Katrin Eigendorf, Korrespondentin ZDF, Istanbul

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SRF: Die Hagia Sofia soll wieder eine Moschee werden – warum liegt Präsident Erdogan so viel daran?

Katrin Eigendorf: Erdogan hat ja die Hagia Sofia immer wieder zum Symbol für osmanische Überlegenheit hochstilisiert. Sie steht für die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Im Moment erlebt die Türkei eine schwere wirtschaftliche Krise. Erdogan steht unter grossem Druck, seine Popularität ist am Sinken. In solchen Situationen hat Erdogan immer wieder die national-religiöse Karte gespielt. Dieses Urteil kommt nicht zufällig heute an einem Freitag – und nicht zufällig hat Erdogan gleich nach dem Gerichtsentscheid verkündet, dass die Hagia Sofia ab sofort frei sei für die Gebete der Muslime.

SRF: Kirche und Staat sind in der Türkei seit bald 100 Jahren getrennt. Nun will Erdogan die Leitung der Moschee der Religionsbehörde übergeben. Wie passt das zusammen?

Kathrin Eigendorf: Das passt sehr gut zusammen, die Hagia Sofia war in der gesamten Geschichte ein Spielball der politischen Interessen. Sie zum Museum zu machen war ein geschickter Schachzug des laizistischen Staates. Erdogan will das rückgängig machen und möchte einen vermehrt religiös dominierten Staat. Er nimmt dafür nun in Kauf, Christen weltweit zu verärgern und wichtige Einnahmen zu verlieren – denn pro Jahr besuchen etwa vier Millionen Touristen die Hagia Sofia.

Spannungen mit Griechenland befürchtet

Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP forderten seit Langem, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln.

Die Sorge von Millionen von Christen wurde nicht gehört.
Autor: Wladimir Legoida Leiter Information des Moskauer Patriarchats

Vor allem Griechenland und Russland sind wegen der Bedeutung der Hagia Sophia für die orthodoxe Kirche gegen eine Änderung des Status. Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni sprach von einer «Provokation für die zivilisierte Welt». Erdogan führe «sein Land sechs Jahrhunderte zurück.» Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarchat sagte der Agentur Interfax: «Die Sorge von Millionen von Christen wurde nicht gehört.»

Die Entscheidung könnte die Spannungen zwischen der Türkei und dem Nachbarn Griechenland weiter verschärfen, die sich ohnehin schon um Erdgas im östlichen Mittelmeer streiten.

Unesco bedauert Umwandlung

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Die Unesco hat die Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia von einem reinen Museum in eine Moschee «zutiefst bedauert». Die Entscheidung sei ohne vorherigen Dialog getroffen worden.

«Die Heilige Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk und ein einzigartiges Zeugnis der Begegnung von Europa und Asien im Laufe der Jahrhunderte. Sein Status als Museum spiegelt die Universalität seines Erbes wider und macht es zu einem starken Symbol des Dialogs», erklärte Generalsekretärin Audrey Azoulay. Derartige Änderungen müssten der Unesco vorher mitgeteilt und, falls erforderlich, vom Komitee für das Erbe der Welt geprüft werden.

Ein geschichtsträchtiges Bauwerk

Die im 6. Jahrhundert unter Kaiser Justinian I. erbaute Hagia Sophia war fast ein Jahrtausend lang das grösste Gotteshaus der Christenheit und Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, in der die Kaiser gekrönt wurden.

Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen wandelte Sultan Mehmet II. («Der Eroberer» 1432 – 1481) die Hagia Sophia in eine Moschee um und fügte als äusseres Kennzeichen vier Minarette hinzu. Auf Betreiben des türkischen Republik-Gründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung in ein Museum an.

SRF 4 News, 10.07.2020, 16:00 Uhr ; 

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