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Einsturz von Brücke in Dresden Bauexperte: «Bis zu 15’000 Brücken sind instandsetzungsbedürftig»

Ein deutscher Professor für Brückenbau spricht im Interview zu den Hintergründen des Einsturzes der Carolabrücke.

In der Nacht auf Mittwoch sind in der ostdeutschen Stadt Dresden Teile der Carolabrücke über der Elbe eingestürzt . Sie ist eine der wichtigsten Verkehrsadern in der Dresdener Innenstadt. Glücklicherweise befanden sich beim Einsturz um 3 Uhr morgens weder Fahrzeuge noch Fussgänger auf der Brücke.

Martin Mertens ist Spezialist für Baustatik und Brückenbau an der Hochschule Bochum. Er erklärt die Hintergründe.

Martin Mertens

Spezialist für Baustatik und Brückenbau

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Martin Mertens ist Professor für Technische Mechanik, Baustatik und Brückenbau an der Hochschule Bochum

SRF News: Was lässt sich über die Ursachen des Einsturzes sagen?

Martin Mertens: Das ist wie beim Krimi: Wenn das Opfer vor dem Kommissar liegt, muss man dem Gerichtsmediziner etwas Zeit geben, die Leiche zu untersuchen. Und die brauchen wir jetzt auch. Da zu spekulieren, wäre unseriös. Erstaunlich ist, dass diese Brücke ohne Verkehrslast eingestürzt ist. 20 Minuten vorher ist noch eine Strassenbahn darübergefahren.

Was wusste man über den Zustand der Brücke?

Das ist ein Bauwerk von 1971, aus einer Zeit, als die Kenntnis unserer Bauingenieure in Deutschland noch nicht so ausgereift war wie heute. Die Spannbetonbrücken, gebaut vor 1980, sind heute unsere Problemkinder.

Abrissarbeiten vorerst beendet

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Vor dem erwarteten Hochwasser sind wichtige Abrissarbeiten an der zum Teil eingestürzten Carolabrücke über die Elbe in Dresden abgeschlossen worden. Das bestätigte Feuerwehrsprecher Michael Klahre. Das betrifft den Teil der Brücke am Ufer zur Neustadt. Damit sind die Arbeiten schneller beendet worden als zunächst geplant. Ursprünglich war Sonntagabend angestrebt worden. Ein Teil der Brücke liegt aber noch immer in der Elbe.

Die Einsatzkräfte hatten wegen der drohenden Hochwassergefahr mit Hochdruck an der Beräumung des Ufers gearbeitet. Brückenteile wurden zerkleinert und mit dem Lastwagen abtransportiert. Auch zwei Bergepanzer der Bundeswehr waren zur Unterstützung vor Ort. Sie postete auf der Plattform X ein Video, das zeigt, wie ein Panzer Schutt beiseiteschiebt.

Weshalb?

Zum einen gibt es aus heutiger Sicht Unzulänglichkeiten in der Konstruktion und der statischen Berechnungsmöglichkeiten. Dann haben wir unter Umständen Materialprobleme, nämlich dass Spannstäbe eingebaut wurden, die zu Korrosion neigen.

Laut dem Präsidenten der Deutschen Bundesingenieurkammer, Heinrich Bökamp, soll es in Deutschland eine ganze Reihe von Brücken geben, die nicht in einem Zustand sind, wie sie sein sollten. Teilen Sie diese Ansicht?

Da stimme ich Herrn Bökamp zu. Wir haben zwei Kennzahlen dafür: Das eine ist die Zustandsnote, die setzt sich aus Verkehrssicherheit, Dauerhaftigkeit und Standsicherheit zusammen. Die gibt einen Überblick über den Zustand des Bauwerks. Und die zweite Kennzahl ist der sogenannte Traglastindex. Der geht von 1 bis 5. Viele der alten Brücken von vor 1980 fallen in den Traglastindex vier oder fünf.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten unsere Infrastruktur verfuttert.

Was bedeutet das?

Die gelten sozusagen als marode. Es kann aber sein, dass die Zustandsnote dieser Brücken recht gut ist. Das hat damit zu tun, dass die in einer Zeit gebaut wurden, als man sich heutige Verkehrsströme und Lasten nicht vorstellen konnte. Das betrifft insbesondere die Bundesautobahn. Wir haben 40’000 Brücken an den Bundesfernstrassen und man geht davon aus, dass 10'000 bis 15’000 instandsetzungsbedürftig sind.

In deutschen Medien wird derzeit beklagt, der Einsturz sei ein Symbol für den Niedergang eines Landes, in dem nur noch lamentiert werde, während die Infrastruktur bröckle. Sehen Sie das auch so dramatisch?

Ja, ich sehe das auch so. Wir haben in den letzten Jahrzehnten unsere Infrastruktur verfuttert. Das dafür nötige Geld ist woanders hingeflossen. Ausserdem hat die Politik dafür gesorgt, dass die grossen Strassenbauverwaltungen ausgedünnt worden sind. Man hat also gespart, gespart, gespart und das fliegt uns jetzt um die Ohren.

Das Gespräch führte Matthias Kündig.

Echo der Zeit, 14.09.2024, 18 Uhr ; 

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