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Emirate – Katar Rivalität unter Golfprinzen

Die Emirate und Katar: Das ist eine Geschichte von absoluter Herrschaft, scharfer Konkurrenz und Sendungsbewusstsein ambitiöser Prinzen. Die Reportage mitten aus einer Weltregion voller Spannungen.

«Wer nach Dubai kommt und das Selbstvertrauen nicht spürt, welches die Stadt durchdringt, hat den Kern nicht erfasst», sagt der bekannteste Politexperte des Landes, Abdulkhaleq Abdulla.

Er hat zum Gespräch eines seiner letzten Bücher mitgebracht. Abdulla nimmt einen Stift und signiert es. Es heisst: «Die Stunde der Golfstaaten». Die Stunde ist gekommen – und die Vereinigten Arabischen Emirate gehen voran, ist der Strategieprofessor und ehemalige Berater von Kronprinz Mohammed bin Zeyid überzeugt.

Buchautor Abdulkhaleq Abdulla.
Legende: Nun sei die Zeit reif für ein neues Kapitel in der Region, sagt der Buchautor Abdulkhaleq Abdulla. SRF

Zelebrierter Zukunftsoptimismus

Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Zusammenschluss von sieben winzigen Scheichtümern. Zwei ragen heraus: Erstens das Emirat Abu Dhabi als politisches Zentrum, hier konzentriert sich der Ölreichtum. Zweitens das Emirat Dubai, mit seinen Wolkenkratzern und künstlichen Inseln. Es hat sich zum wichtigsten Finanzzentrum und Verkehrsdrehkreuz der Region entwickelt.

«Creek» – wo die Erfolgsgeschichte begann

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Die sogenannte Wasserstrasse «Creek» in Dubai.
Legende: SRF

Heute sind die paar Minuten Überfahrt über den sogenannten «Creek» von Dubai eine blosse Touristenattraktion. Hier begann die Erfolgsgeschichte - in aller Bescheidenheit.

Beduinen aus der Wüste zogen Anfang des 19. Jahrhunderts an den «Creek» («Dubai Bach») und betrieben etwas Fischerei, tauchten nach Perlen. Durch die nahe Meerenge von Hormuz verlief eine wichtige Handelsroute des britischen Empires in seine indischen Kolonialgebiete.

Die Briten nannten das Gebiet «Piratenküste» und übernahmen die militärische Kontrolle. Erst 1971 zogen sich die Briten zurück und die Emirate wurden unabhängig. Die USA garantierten fortan die Sicherheit.

Das Öl liess die Wüstenprinzen reich werden – und selbstsicher. Mit blinder Bündnistreue kann Washington nicht mehr rechnen. In der Ukrainekrise zieren sich die Emirate, klar Stellung auf der Seite der Europäer und Amerikaner zu beziehen. Man hält sich hier lieber alle Optionen offen und pflegt gute Kontakte bis nach China.

Die topmoderne Metro von Dubai rauscht führerlos vorbei an den luxuriösen Einkaufsmalls und dem höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa. Für die erste Weltausstellung im arabischen Raum wurde das Metronetz noch erweitert. Dubai investierte zehn Milliarden Dollar allein in dieses prestigeträchtige Event und die nötige Infrastruktur dazu.

Burj Khalifa
Legende: Der Burj Khalifa dominiert die Skyline von Dubai. Keystone

Welch spektakuläre Entwicklung, schwärmt der 22-jährige Wirtschaftsstudent Dimitri, wenn er die Emirate von heute nur schon mit den Emiraten seiner Kindheit vergleiche: «Die Architektur, die Infrastruktur, inzwischen ist alles Weltklasse».

Die Eltern von Dimitri stammen aus Libanon. Für sich sieht er dort keine Perspektiven. Beirut, Kairo, Damaskus, Bagdad - die historischen Hauptstädte der arabischen Welt – sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, zermürbt durch nicht endende Krisen und Kriege.

Das Quartier Marina in Dubai.
Legende: Das Quartier Marina in Dubai: Zur Jahrtausendwende war hier noch Wüste – jetzt wachsen topmoderne Wolkenkratzer in den Himmel. SRF

Hier am Golf dagegen gibt es Arbeit und das Gefühl, vorne mit dabei zu sein. Dubai zelebriert Zukunftsoptimismus und investiert schamlos in die extravagantesten Projekte.

Auch die Betriebswirtschaftlerin Parvati ist in den Emiraten aufgewachsen. Ihr Vater kam aus Indien, fand Arbeit im sogenannten Dschabal Ali, der ersten «Free Zone» von Dubai, wo sich ausländliche Unternehmen seit 1985 ohne grosse Auflagen ansiedeln konnten.

Der Hafen von Dschabal Ali zählt heute zu den führenden Güterumschlagplätzen der Welt. Handelshäuser und Finanzinstitute aus diversen Ländern machen Geschäfte in der Glitzerstadt – auch undurchsichtige: Der Golfstaat figuriert auf einer einschlägigen grauen Liste der Staaten, die gerne ein Auge zudrücken bei der Kontrolle der Geldflüsse.

Weltoffenheit und aggressive Regionalpolitik

Parvati wohnt mit ihrem Mann weit weg von den Luxussuiten, die russische Milliardäre und andere Businesstycoons gern zum steuerfreien Domizil machen. Sehr teuer sei die Wohnung trotzdem, sagt sie.

Neun von zehn Menschen in Dubai kommen aus dem Ausland. Der Chauffeur im Bus aus Abu Dhabi ist Filipino, stammt aus einem Dorf von ausserhalb Manilas, zuhause Frau und Kind. In Dubai teilt er sich eine Kammer mit drei Landsleuten. Ein Leben in der Schwebe seit elf Jahren, unterbrochen nur vom jährlichen Heimaturlaub, wenn es die Umstände zulassen.

Auch das ist ein Teil der hiesigen Realität, abseits der Golfplätze, Pferderennbahnen und röhrenden Sportwagen. Seinen Namen nennen mag er nicht. Das erscheint ihm zu riskant.

Die Möglichkeiten zur Meinungsäusserung sind beschränkt – aber mit gutem Grund.
Autor: Mohamed Al Hammadi Publizist

Man gibt sich in den Emiraten gern weltoffen und westlich. Zugleich wird der Herrscher von Dubai beschuldigt, seine Ehefrauen und Töchter zu demütigen, ja einzusperren, wenn sie sich seinem absoluten Herrscherwillen nicht beugen. Darüber öffentlich zu reden ist tabu.

Der Golfstaat gehört auch beim Einsatz modernster Überwachungstechnologie und Spionagesoftware zur Weltspitze.

Der Publizist Mohamed Al Hammadi räumt ein: Die Möglichkeiten zur Meinungsäusserung sind beschränkt. Aber das gelte in der ganzen Region. Und es gebe einen guten Grund für die Restriktionen: den Terrorismus. Dieser habe die Region um Jahrzehnte zurückgeworfen. Überall seien die Regierungen deswegen vorsichtiger geworden, sagt der emiratische Publizist.

Publizist Hammadi
Legende: Der Publizist Hammadi erklärt, dass die Repression einen Grund habe – den Terrorismus. SRF

Dabei sind die Vereinigten Arabischen Emirate selbst tief in die Konflikte verstrickt: Der Begriff vom «Sparta am Golf» machte die Runde. Wie der antike griechische Stadtstaat würden die Emirate eine aggressive Regionalpolitik betreiben, die in keinem Verhältnis stehe zu ihrer geringen Grösse.

Tatsächlich kauften die Prinzen vom Golf im letzten Jahrzehnt bis zum Horn von Afrika Häfen auf und pumpten ihre Ölmilliarden in Krisengebiete rund um die arabische Welt, von Jemen über Ägypten bis Libyen.

Professor Abdulkhaleq Abdulla bestreitet nicht die Tatsache, nur die negative Bewertung. Hinter dem Engagement stecke eine historische Verantwortung. «Während andere die Kräfte des Chaos in der Region machen lassen, vertreten die Emirate die Kräfte der Mässigung und Stabilität». Die Interventionen seines Landes hatten zur Folge, dass in der Region Protestbewegungen unterdrückt und die bestehenden Herrschaftsordnungen verteidigt wurden, jene der Generäle und Autokraten.

Nun sei die Zeit reif für ein neues Kapitel, sagt der Buchautor: «Im Grunde ist alles bereit für ein Jahrzehnt der Entspannung in der Region», glaubt Abdulla.

In Jemen gilt seit Beginn des Ramadans eine prekäre Waffenruhe, die Emirate strecken ihre Fühler auch nach Iran aus. Sogar der türkische Präsident Erdogan, der in den Konflikten des letzten Jahrzehnts auf der Gegenseite der Emirate stand, wurde jüngst mit allen Ehren in Abu Dhabi empfangen, war auch bei den Saudis.

Und Katar, der ebenso ehrgeizige Nachbarn?

Ausgerechnet in dem kleinen Bruderstaat nebenan sahen die Emirate den wichtigsten Anstifter zum Chaos des letzten Jahrzehnts.

Auch Katar pumpte Milliarden in die Konfliktgebiete, allerdings auf die Gegenseite. Es finanzierte Bewegungen des Protests gegen die bestehenden Ordnungen, von Syrien über Ägypten bis nach Libyen. Es waren vornehmlich Bewegungen, die den islamistischen Muslimbrüdern nahestehen.

Gemeinsam mit den Saudis nahmen die Emirate den widerspenstigen Nachbarn deswegen in den Würgegriff. Sie stellten ein Ultimatum, es lief darauf hinaus, dass Katar auf eine eigenständige Aussenpolitik verzichten und ganz auf den Kurs der andern Golfstaaten umschwenken sollte. Katar dachte nicht daran. Also wurde die Blockade verhängt: Dreieinhalb Jahre lang waren sämtliche Verbindung der andern Golfstaaten zu Katar gekappt.

Doch schon im Landeanflug auf Doha wird klar, so sieht kein Verlierer aus. Auch hier bestimmen Wolkenkratzer die Skyline – auch hier ist die Handschrift der Stararchitekten der Welt zu erkennen.

Das Museum für islamische Kunst.
Legende: Das Museum für islamische Kunst hat einen besonderen Platz an der Strandpromenade von Doha. SRF

Doha steht Dubai an Selbstbewusstsein kaum nach. Gleichzeitig nimmt Doha für sich in Anspruch, dezenter zu sein – weniger schrill als Dubai, mehr der Religion und der Tradition verpflichtet. Doch was für Dubai die Weltausstellung war, ist für Doha die Fussballweltmeisterschaft.

Ein Fussballstadion für die WM in Katar.
Legende: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben gerade die erste Weltausstellung im Nahen Osten veranstaltet – Katar rüstet sich für die erste Fussballweltmeisterschaft in der Region. SRF

Damit die Spiele nicht in der Bruthitze des Sommers ausgetragen werden müssen, wurde die Weltmeisterschaft extra für Katar in den nächsten Winter verlegt. Katar sieht in dem Grossereignis die Gelegenheit, sich selbst und der ganzen Welt die eigene Bedeutung zu beweisen.

Ein Stadion namens 974

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Mohammed al Mulla – der verantwortliche für das Stadion 974.
Legende: Mohammed al Mulla SRF

Zwischen Flughafen und Hafen zeigt sich Doha neuerdings im «Industrial Design». Hier steht eines der acht Stadien für die Fussballweltmeisterschaft im November. Es ist aus Schiffscontainern und Stahlträgern gebaut.

Mohammed al Mulla ist der Verantwortliche für das Stadion. Es erfüllt ihn mit Stolz. Das Stadium heisst 974, wie die Telefonvorwahl von Katar, damit soll deutlich werden: Katar wolle mit der Welt kommunizieren, sagt Al Mulla.

Den Vorwurf, beim Bau der Stadien seien Wanderarbeiter aus Südasien systematisch ausgebeutet worden, weist der Mann vom staatlichen Organisationskomitee zurück. Man halte sich an die internationalen Standards.

Die Egos der Prinzen

Es geht am Golf um die Egos von Prinzen. Um Nationalstolz. Aber auch um Überlebensinstinkt. Je stärker sie sich vernetzen und je relevanter sie erscheinen, umso sicherer sind diese winzigen Staaten umgeben von unberechenbaren Regionalmächten, so ihr Kalkül.

Auch Katar glaubt, alle Argumente auf seiner Seite zu haben, um sich unverzichtbar zu machen: Es ist zu einem der grössten Exporteure von Flüssigerdgas avanciert. Neuerdings stehen die Minister aus Europa Schlange. Sie hoffen in ihrer Versorgungskrise auf mehr Gas aus Katar, um sich von Russland zu lösen.

Katara-Towers
Legende: Katara-Towers: Doha macht sich mit dem Luxushotelkomplex chic für die Fussballweltmeisterschaft. SRF

Eine Metro für Doha

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Porträt
Legende: Abu Hamad SRF

Auch in Doha soll ein Metronetz das Zeitalter des öffentlichen Verkehrs einläuten. Abu Hamad hat mitgearbeitet. Der 27-jährige Inder mag sich nicht beklagen. Er werde von seinem Arbeitgeber anständig behandelt und auch gut untergebracht.

Seine Sorge ist, dass im Hinblick auf die Weltmeisterschaft die Bautätigkeit nun gestoppt wird, die Arbeitsmöglichkeiten damit schwinden. Während die Welt zu Gast ist, soll die perfekte Kulisse nicht durch Baukräne und Bagger getrübt werden.

Solange die globale Nachfrage nach diesem Treibstoff seiner Ambitionen anhält, kann sich der Staatschef jede Extravaganz leisten. Rings um die Stadien sind neue Stadtviertel aus dem Boden geschossen, wo gerade noch Wüste war.

Samia und Dana kommen gern zum Joggen an die Strandpromenade von Lusail, der neuesten Vorstadt von Doha– die Promenade befindet sich neben dem Stadion, in dem das Finalspiel ausgetragen wird.

Ein Foto von den beiden Frauen, Samia und Dana, aus Libanon.
Legende: Auch für Samia und Dana, die in der neuen Vorstadt Lusail wohnen, ist die Heimkehr nach Libanon keine Option. SRF

Sie stammen aus dem Libanon, wie Dimitri in Dubai. Auch für sie ist Rückkehr in die zerrüttete Heimat keine Option. Lusail soll zur nachhaltigen «Smart City» werden. Katar bleibt zugleich der Staat mit dem grössten CO2-Ausstoss pro Kopf. 

Und die Katar-Blockade?

Die Grenzen gingen letztes Jahr fast so überraschend wieder auf, wie sie dreieinhalb Jahre zuvor geschlossen worden waren. Auch das könnte mit den Grossanlässen dieses Jahres, der Expo in Dubai und der Weltmeisterschaft hier in Katar, zusammenhängen: Zwängereien unter rivalisierenden Prinzen machen sich schlecht, wenn sich ihre Staaten doch gleichzeitig vor der globalen Öffentlichkeit ins beste Licht rücken wollen.

Den Vorwurf seiner Nachbarn, es unterstützte Terroristen, weist Katar ohnehin zurück. Es präsentiert sich der Welt lieber als neutraler Vermittler mit exzellenten Kontakten in alle Richtungen.

Vielleicht ist die Unterstützung Katars für die Muslimbrüder seit der Blockade der Nachbarn etwas diskreter geworden – die islamistische Bewegung hat ohnehin stark an Bedeutung verloren.

Aber Katar hat nicht auf eine eigenständige Aussenpolitik verzichtet. Und auch die überlebensgrossen Porträts von Scheich Tamim al Thani sind nicht von den Fassaden verschwunden – die Porträts des Herrschers, der sich nicht unterkriegen lässt.

International, 30.04.2022, 9 Uhr

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