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Endstation Marokko war gestern «Die Grenzen nach Europa sind durchlässiger geworden»

Plötzlich entdecken viele Migranten eine vermeintlich einfache Route. Maghreb-Experte Beat Stauffer sagt, wie es dazu kam – und weshalb die westliche Mittelmeerroute über Marokko bis anhin dicht war.

Spanien war in den letzten Jahren relativ wenig von den Migrationsströmen nach Europa betroffen. Obwohl das Land über die Meerenge von Gibraltar nur wenige Kilometer von seinem afrikanischen Nachbarn Marokko entfernt liegt und mit den Enklaven Ceuta und Melilla selbst auf dem Kontinent präsent ist.

Karte Ceuta und Mellila
Legende: Die spanischen Städte Ceuta und Mellila an der nordafrikanischen Mittelmeerküste. SRF

Nun strömen auf einmal Migranten in grosser Zahl über Marokko nach Spanien. Wie das möglich ist, erklärt Maghreb-Experte Beat Stauffer.

Beat Stauffer

freier Journalist, Buchautor

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Beat Stauffer berichtet als freischaffender Journalist für verschiedene Medien aus Nordafrika. Er ist auch als Buchautor, Kursleiter und Referent tätig.

SRF News: Was ist der Grund dafür, dass immer mehr Migranten von Marokko aus nach Spanien aufbrechen?

Beat Stauffer: Es gibt drei wesentliche Gründe. Erstens: Die zentrale Mittelmeerroute über Libyen ist seit Sommer 2017 faktisch gesperrt. Es ist zu einer Umlagerung gekommen, unter anderem auf die westliche Mittelmeerroute, die über Marokko führt. Das hat den Migrationsdruck auf das Land erhöht.

Marokko hat Europas Aussengrenzen in den letzten Jahren mustergültig bewacht. Jetzt hat sich diesbezüglich etwas geändert.

Zweitens: Marokkanische Sicherheitskräfte waren vor allem 2017 monatelang absorbiert durch die Unruhen im Rif . Wahrscheinlich stand damals weniger Personal zur Verfügung, um die Migranten an der Ausreise zu hindern. Drittens: Die marokkanischen Grenzen sind in den letzten Monaten durchlässiger geworden. Die Ausreise wurde für Migranten einfacher.

Warum einfacher?

Die allermeisten Migranten, die über Marokko nach Europa auswandern, sind Bürgerinnen und Bürger westafrikanischer Staaten. Sie können ohne Visum nach Marokko einreisen und zwar auf relativ einfache Art. Sie können etwa mit einem Bus von Senegals Hauptstadt Dakar ins marokkanische Casablanca fahren. Es ist eine lange, aber gar nicht so komplizierte Reise – nicht vergleichbar mit der Reise durch die Wüste nach Libyen.

Die Menschen können aber auch direkt mit dem Flugzeug nach Casablanca fliegen. Die Migranten können also problemlos bis in den Norden von Marokko reisen. Dort ist es jetzt zu einer Art «Stau» gekommen, weil die meisten dieser Senegalesen, Gambier, aber auch Malier eigentlich nach Europa ausreisen möchten.

Wenn die Reise tatsächlich so einfach ist: Warum sind die Migranten nicht schon viel früher via Marokko Richtung Europa gestartet?

Weil es vor zwei Jahren noch deutlich einfacher war, über Libyen auszureisen, wenn man es einmal in das Land geschafft hatte. Man kam relativ einfach auf ein Schiff. Die Schlepper hatten vollkommen freie Hand. Die Route war zwar gefährlich, aber die Ausreise war gewissermassen garantiert.

In Marokko hingegen haben die Sicherheitskräfte die Grenzen sehr stark überwacht. So sind beispielsweise 2016 nur etwa 5000 Personen von Marokko nach Spanien gekommen. Dagegen gelangten 180'000 Migranten via Libyen nach Italien. Das hat sich in der letzten Zeit geändert.

Der Druck auf Marokko ist also grösser geworden. Bedeutet das auch, dass Marokko diesem Druck nachgibt?

Man muss sich vergegenwärtigen, dass Marokko in den letzten Jahren ein Musterschüler war: Es hat Europas Aussengrenzen mustergültig bewacht. Jetzt hat sich diesbezüglich etwas geändert. Es mag sein, dass der Druck für Marokko zu gross geworden ist – auch der interne Druck.

Marokko verlangt von Europa nicht unbedingt Geld, sondern die Unterstützung seiner aussenpolitischen Interessen.

Es gibt viele junge Marokkaner, die auswandern wollen. Die afrikanischen Migranten, die sich im Norden stauen, sind eine Belastung. Möglicherweise gibt es auch Druckversuche auf Europa: Man möchte Europa klarmachen, dass die eigene Leistung bei der Grenzsicherung unzureichend abgegolten wird. All das lässt sich im Moment nicht abschliessend beurteilen.

Hund sitzt auf Aussichtsplattform in Marokko, dahinter die Meerenge von Gibraltar.
Legende: Die Meerenge von Gibraltar weist den Weg nach Europa. Bis vor kurzem gab es aber kaum ein Durchkommen. Reuters

Am Montag wurde bekannt, dass Marokko von Spanien rund 60 Millionen Euro erhalten soll, um die illegale Migration zu reduzieren. Wofür soll das Geld verwendet werden?

Das Geld soll vor allem für neue Ausrüstung verwendet werden: für Hubschrauber, Nachtsichtgeräte, Fahrzeuge, Drohnen. Das ist bislang bekannt geworden.

Marokko erhält schon jetzt Geld von der Europäischen Union. Wofür?

Das ist nicht ganz klar. Menschenrechtsorganisationen beklagen sich zum Teil, dass das Geld, das eigentlich für die Versorgung der Migranten vorgesehen ist, nicht diesen Menschen zugute kommt. Marokko hat aber bis anhin gar nicht unbedingt Geld verlangt. Stattdessen will das Land von Europa – etwa von Spanien und Frankreich – eine kompromisslose Unterstützung der Westsahara-Politik. Es geht Marokko also um die Unterstützung seiner aussenpolitischen Interessen.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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